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Baustelle Fachkräftemangel

Recherche • Gegen den Fachkräftemangel gibt es verschiedene Strategien und Meinungen. Der Schweizerische Arbeitgeberverband schlägt unter anderem längere und flexiblere Arbeitszeiten vor, während der Gewerkschaftsbund der Meinung ist, dass mit dem Schweizer Arbeitsmarkt generell etwas nicht stimmt.

| Adrian Hauser | Wirtschaft
Bauberufe sind besonders stark vom Fachkräftemangel betroffen.

Der Konjunkturrückgang lässt den Fachkräftemangel aktuell gemäss dem Stellenmarkt-Monitor Schweiz der Universität Zürich sinken: Im Jahr 2024 gab es einen schweizweiten Rückgang um 18 Prozent, nachdem der Fachkräftemangel-Index im Vorjahr um 24 Prozent angestiegen war. In den Kantonen Bern, Solothurn, Freiburg, Jura und Neuenburg ist der Fachkräftemangel-Index im Vergleich zum Vorjahr um 22 Prozent gesunken. Trotz des festgestellten Rückgangs liegt der Index weiterhin 39 Prozent über dem Niveau vor der Pandemie. Das zeigt, dass der Fachkräftemangel nach wie vor akut bleibt und noch keine Entwarnung gegeben werden kann.

Auch in Zukunft ein Problem

Der Rückgang spiegele sich in beiden Hauptkomponenten des Fachkräftemangel-Indexes wider: Zum einen wurden in diesem Jahr sieben Prozent weniger Stellen ausgeschrieben, wie der Rückgang des Job Index zeigt. Zum anderen stieg die Arbeitslosenquote von 2 auf 2,4 Prozent an. Marcel Keller, Country President Adecco Gruppe Schweiz, sagt dazu: «Die konjunkturelle Abkühlung hat in diesem Jahr (2024) spürbare Auswirkungen auf den Schweizer Arbeitsmarkt. Dennoch bleibt dieser robust: Es gibt weiterhin mehr offene Stellen als vor der Pandemie, und die Arbeitslosenquote verharrt trotz eines leichten Anstiegs historisch betrachtet auf einem niedrigen Niveau. Damit bleibt der Fachkräftemangel ein Problem, mit dem Unternehmen auch in Zukunft konfrontiert sind.» Um dem Fachkräftemangel nachhaltig zu begegnen und die eigene Wettbewerbsfähigkeit aufrechtzuerhalten, müssen Unternehmen gemäss Marcel Keller vermehrt in ihre Mitarbeitenden investieren und gezielte Um- und Weiterbildungsmassnahmen anbieten.

Wie bereits im Vorjahr stehen Fachkräfte in Gesundheitsberufen wie beispielsweise Fachärzte, Pflegefachkräfte oder Apothekerinnen weiterhin an der Spitze des Fachkräftemangel-Rankings, auch wenn der Mangel in dieser Gruppe im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen ist. Den zweiten Platz nehmen neu die Bauführer, Polierinnen und Produktionsleiter wie beispielsweise Bauleiter, Malerpolierinnen, Maschinenbauleiterinnen ein. An dritter Stelle folgen die Elektrikerinnen und Elektroniker wie beispielsweise Elektromonteurinnen, Elektromechaniker oder Kundendiensttechnikerinnen. 

 Arbeitgeber für längere Arbeitszeiten

Gemäss dem Schweizerischen Arbeitgeberverband hat sich der Fachkräftemangel zum grössten Bremsklotz für die Schweizer Wirtschaft entwickelt. Diese Entwicklung würde sich noch verschärfen, wenn eine Million Babyboomer in Pension geht. Weil geburtenschwache Jahrgänge nachrücken, fehlen in der Schweiz gemäss dem Arbeitgeberverband bis 2030 eine halbe Million Arbeitskräfte. Um dem entgegenzuwirken, hat der Schweizerische Arbeitgeberverband einen Massnahmenkatalog mit insgesamt acht Punkten erarbeitet. Das sind verschiedene Vorschläge, wie man dem Problem entgegenwirken könnte. Darunter befinden sich für Arbeitnehmende wenig attraktive Massnahmen wie beispielsweise eine Erhöhung der Arbeitszeit. Dies aufgrund der These, dass heute 14 Tage pro Jahr weniger gearbeitet wird als noch vor 10 Jahren. Die Arbeitgebenden schlagen aber auch eine stärkere Förderung von Kitas und Tagesschulen vor, damit Arbeitnehmende weniger Geld für eine Kinderbetreuung ausgeben müssen. Eine Erhöhung des Rentenalters befindet sich natürlich ebenfalls unter den vorgeschlagenen Massnahmen. Die Arbeitgebenden sehen jedoch auch in der Migration eine Chance. So müsse eine arbeitsmarktgetriebene Zuwanderung weiterhin möglich sein. Das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU bleibe von zentraler Bedeutung und müsse weiterentwickelt werden. Die Drittstaatenkontingente sollen gemäss dem Arbeitgeberverband allerdings besser auf die Bedürfnisse der Wirtschaft ausgerichtet werden. Weiter steht auch bei den Arbeitgebenden die Flexibilität der Arbeitszeitgestaltung auf dem Plan: Das Arbeitsgesetz müsse stärker auf die heutigen und künftigen Bedürfnisse und Forderungen der Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden ausgerichtet werden. Dazu gehöre auch eine Lockerung der strengen Arbeitszeitregelungen, damit beispielsweise berufstätige Eltern nach der mit den Kindern verbrachten Zeit die liegen gebliebene Arbeit auch am Abend –
ausserhalb der ordentlichen Bürozeiten – beenden könnten.

Alles nur Illusion?

Etwas anders sieht die Lage der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB), also die Arbeitnehmervertretung. Trotz Fachkräftemangel seien im letzten Jahr 221 000 Personen erwerbslos gewesen. Vor rund 25 Jahren habe es rund 100 000 Erwerbslose gegeben – bei ungefähr gleich vielen offenen Stellen. Das zeigt gemäss dem SGB: Auf dem Schweizer Arbeitsmarkt stimmt definitiv etwas nicht mehr. Dasselbe Bild gebe es bei den Löhnen. Trotz Arbeitskräftemangel und vielen offenen Stellen sei es bei den Real­löhnen abwärts gegangen. Obwohl die Löhne in einer Mangelsituation eigentlich steigen sollten. Hinter dieser Entwicklung gebe es nicht eine Ursache. So wisse man, dass vor allem grössere Firmen unflexibler geworden seien. Sie seien weniger bereit, Leute selber auszubilden, als früher. Die Personalabteilungen, die eine wichtige Rolle spielten, würden ziemlich schematisch Personal suchen, das die Qualifikationen mitbringe, das Potenzial spiele aber eine geringe Rolle. Ältere Arbeitnehmende hätten es zudem schwer, was sich auch in der Arbeitslosenstatistik zeige: Vor allem die Arbeitslosenquote der 60+ ist erhöht. Im historischen Vergleich ist der Mangel an Fachkräften gemäss SGB nicht dramatisch. Zwar hätten etwas mehr Firmen Mühe, qualifiziertes Personal zu finden. Doch Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre sei es für die Arbeitgeber wesentlich schwieriger gewesen, Personal zu finden. Und trotzdem: Einen wichtigen Faktor gegen den Fachkräftemangel ortet auch der SGB in der
Migration.


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Das Schlagwort Bürokratie

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