«Durch Vereinbarkeit Fachkräfte halten»
Interview • Priska Maeder aus Worb ist Präsidentin des Vereins Pro Teilzeit, Malermeisterin und ÜK-Kursleiterin. Die Projekte von Pro Teilzeit wollen die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben in Bauberufen fördern. Dies macht diese Berufe attraktiver für neue Arbeitnehmende und weniger Fachleute wandern ab.

Sie sind Präsidentin des Vereins Pro Teilzeit. Wie ist dieser Verein entstanden?
Priska Maeder: Die heutige Projektleiterin des Vereins Pro Teilzeit arbeitete damals bei der Unia und war für Gleichstellung und die Frauengruppe zuständig. Ich war Mitglied und beteiligte mich an verschiedenen Aktivitäten. Wir haben damals festgestellt, dass viele Frauen, die eine Ausbildung als Malerin haben, nicht sehr lange im Beruf bleiben. Deshalb lancierten wir bei den Malerinnen aus dem Kanton Bern eine Umfrage und wollten damit herausfinden, was die Gründe für die Abwanderung aus der Branche sind. Von vielen Frauen wurde als Grund angegeben, dass es in diesem Bereich kaum Möglichkeiten für Teilzeitarbeit gibt. Sobald es an die Familienplanung geht, ist es deshalb gerade für Frauen oft schwierig, im Beruf zu bleiben. Es kam die Idee auf, daran anzuknüpfen und ein entsprechendes Projekt ins Leben zu rufen. Wir haben dann ein paar Jahre später einen Verein gegründet und beim Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) ein Projektgesuch eingereicht.
Was sind die hauptsächlichen Anliegen des Vereins Pro Teilzeit?
Die ursprüngliche Idee war Teilzeitförderung in den Baubranchen. Denn auf dem Bau ist Teilzeitarbeit schwieriger umzusetzen als beispielsweise im Büro. Inzwischen geht es nicht mehr nur um Teilzeitarbeit, sondern ganz allgemein um Arbeitsmodelle, welche die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben verbessern. Das können verschiedene Modelle sein wie beispielsweise die Viertagewoche, die Viereinhalbtagewoche, Flexibilität bei Arbeitsbeginn und -ende oder Lebensarbeitszeit. Die Projekte sollen einen Beitrag zur Gleichstellung leisten, indem Frauen mit Kindern länger im Beruf bleiben und sich Männer gleichzeitig mehr in der Familie engagieren können. Eine gute Vereinbarkeit hilft zudem, Fachkräfte in den jeweiligen Branchen zu halten und diese attraktiver für neue Arbeitnehmende zu machen. Wichtig ist, dass solche Arbeitszeitmodelle nicht zu einer Benachteiligung der Mitarbeitenden führen: Prekäre Arbeitsverhältnisse oder Arbeit auf Abruf und dergleichen wollen wir verhindern.
Es steckt also auch ein gewerkschaftliches Anliegen dahinter.
Auch. Aber es geht auch um Hilfestellungen für Unternehmen. Beim Projekt in der Maler- und Gipserbranche haben wir festgestellt, dass zwar einige bereits Teilzeit gearbeitet haben, es aber keine klaren betriebsübergreifenden Regelungen dafür gab. Die Bestimmungen beispielsweise in Gesamtarbeitsverträgen sind meistens auf Vollzeitarbeit ausgelegt. Aber wie erfasst jemand in Teilzeitarbeit beispielsweise Absenzen auf dem Zeitkonto? Wie werden Feiertage abgerechnet? Wie verfasst man einen Vertrag für jemanden in Teilzeit? Wie läuft es mit der Pensionskasse, besonders bei kleinen Pensen? Für solche Fragen haben wir Vorlagen und Hilfsmittel erarbeitet. Diese schaffen Klarheit für Arbeitnehmende, aber auch für die Arbeitgebenden.
Sind es im Maler- und Gispergewerbe vor allem Frauen, welche die Branche verlassen, oder auch Männer?
Es verlassen auch Männer den Beruf, aber es sind deutlich mehr Frauen. Im Malergewerbe sind seit über 20 Jahren rund 40 Prozent der Lernenden Frauen. Doch fast die Hälfte dieser ausgebildeten Malerinnen kehrt dem Beruf im Alter von 27 bis 36 Jahren den Rücken. In der 2011 durchgeführten Pilotumfrage der Unia Bern zu den Perspektiven von Malerinnen, die ich eingangs erwähnt habe, gaben 40 Prozent der befragten Malerinnen an, dass Mutterschaft und Familie Grund für den Berufswechsel sind. Sie bezeichneten fehlende Teilzeitstellen als Problem.
Was hat das Projekt von Pro Teilzeit in der Maler- und Gipserbranche verbessert?
Vor Projektlancierung war jede 25. Stelle im Maler- und Gipsergewerbe eine Teilzeitstelle, bei Projektende jede 12. Stelle. Innerhalb von vier Jahren haben sich die Teilzeitstellen mit über 600 neuen Stellen also verdoppelt. Das hat die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben verbessert und Fachkräfte im Maler- und Gipsergewerbe gehalten. Das unabhängige Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien (BASS) hat das Projekt zudem evaluiert und die Unternehmen zum Nutzen der Hilfsmittel befragt. Die Evaluation zeigte gemäss BASS auf, dass im Rahmen des Projekts nützliche Hilfsmittel für Unternehmen entwickelt werden konnten, welche den Bedürfnissen der Maler- und Gipserbetriebe entsprechen.
Zurzeit sind zwei weitere Projekte am Laufen. Welche sind das?
Das eine Projekt betrifft das Gebäudehüllengewerbe, das andere den Holzbau. Bei beiden Projekten arbeiten wir mit den jeweiligen Sozialpartnern, also den Arbeitgebenden- und Arbeitnehmendenverbänden, zusammen. Es ist wichtig, die Sicht der Arbeitgebenden und der Arbeitnehmenden zu erfahren. Deshalb wurde in beiden Branchen in einem ersten Schritt eine Befragung zu Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und Arbeitszeitmodellen durchgeführt. Die Resultate der Umfragen werden demnächst veröffentlicht und fliessen in die weitere Projektgestaltung ein.
Und wie geht es nun weiter?
Beide Projekte werden von einer Arbeitsgruppe begleitet, die hauptsächlich aus Unternehmern und Unternehmerinnen besteht. Diese gestalten die Projekte mit, tauschen Erfahrungen aus, erhalten Inputs und helfen mit, Lösungen für die ganze Branche zu erarbeiten. Unternehmen können kostenlos von niederschwelliger Beratung und fachlicher Begleitung für betriebsinterne Pilotprojekte profitieren. Es werden Webinare, Hilfsmittel und Vorlagen für die ganze Branche erarbeitet. Und schliesslich ist eine Analyse der Gesamtarbeitsverträge vorgesehen, um zu prüfen, ob Klärungsbedarf besteht, beispielsweise in Bezug auf Teilzeitarbeit. Flankiert werden die Aktivitäten durch eine Kommunikationskampagne mit Porträts von Unternehmen und Mitarbeitenden. Diese soll verschiedene Herangehensweisen und den Nutzen der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben aufzeigen.
Sie selbst sind der Branche als Fachkraft erhalten geblieben. Was hat geholfen, dass Sie die Branche nicht verlassen haben?
Geholfen hat sicher, dass ich Weiterbildungen absolvieren konnte, womit ich mich auch in der Lehrlingsausbildung engagieren kann. Zurzeit arbeite ich wochenweise als ÜK-Kursleiterin und in den anderen Wochen als Kundenmalerin. Diese Abwechslung gefällt mir sehr – ich arbeite gerne als Malerin, gleichzeitig gefällt mir auch die Arbeit mit den Lernenden. Die Teilzeitlösung hilft mir, dass ich im Beruf bleiben und mein Arbeitsleben individuell gestalten kann. Ich habe bereits mit 21 Jahren die Vorarbeiterschule zur Malermeisterin gemacht, da ich nicht nur als Malerin arbeiten wollte, sondern nach mehr Herausforderung gesucht habe. Später habe ich mich zur Malermeisterin weitergebildet. Wenn ich immer nur Vollzeit als normale Malerin gearbeitet hätte, weiss ich nicht, ob ich im Beruf geblieben wäre. Mit über 50 wird die Arbeit vor allem an Fassaden ausserdem zunehmend anstrengender.
Was gefällt Ihnen persönlich an der Arbeit auf der Baustelle als Malerin?
Die Arbeit ist sehr abwechslungsreich und man sieht danach, was man getan hat. Meistens freuen sich die Kundinnen und Kunden auch über ein gelungenes Resultat. Wir haben beispielsweise gerade die Fassade eines alten, denkmalgeschützten Emmentaler Bauernhauses mit farblichen Ausfassungen renoviert. Das wurde ein richtiges Bijou und alle Beteiligten haben viel Freude daran.