Wie durch Pferdeäpfel Apfelbäume wachsen
Mühledorf | Stephan Bieri hat eine Pferdepension – und verkauft deren Mist. Oder besser: Bieri macht die «Rossgaggle» durch ein aufwendiges Verfahren zu umweltfreundlichem Dünger. Von jedem verkauften Sack erhält Romy Tschopp, Para-Sportlerin, einen Beitrag. Er selbst ist durch Unfälle beeinträchtigt.

Was für ein Flecken Paradies für Pferde: Sie tun, was sie wollen. Sie können sich im Stall, auf der Weide, oder auf dem Kiesplatz aufhalten. 19 Pensions-Pferde, also solche, die Stephan Bieri von ihren Besitzerinnen und Besitzern zur Pflege anvertraut werden, reiben sich aneinander, oder auch an Stephan Bieri, wenn er die Anlage betritt. Der Aktivstall von Bieri ist einmalig. Er realisierte ihn vor elf Jahren. Doch in dieser Geschichte geht es für einmal nicht um die Pferde – sondern um deren Exkremente. «Nein, bis anhin gibt es das in der Schweiz nicht», sagt Bieri. Doch diesmal meint er den Dünger. Denn Bieri und seine Besucherin sprechen über Scheisse. Entschuldigung. Genau genommen über den Kot der Pferde. Stephan Bieri und seine Frau Regina experimentierten lange, bevor es gelang: aus Pferdemist «Sauerei-freien» Dünger für Rosen und Gemüse herzustellen. Trocken, federleicht, geruchlos. Sauberer als die Erde, in welche die Hände der Gärtnerinnen und Gärtner bei der Arbeit gegraben werden. «Wir machen zu 100 Prozent alles auf unserem Hof. Wir verwenden keine Zusatzstoffe.» Zudem sei er ein guter Wasserspeicher und Bodenverbesserer für die Blumen und das Gemüse bei langer Trockenheit.
«Es war eine Riesensauerei»
Aber man benutzte doch schon vorher Pferdemist im Garten? «Ja, aber das war immer eine Riesensauerei. Mir taten die Menschen, die auf unsere Pferdepension kamen, um den Mist vom Miststock für den Garten zu holen, manchmal leid. Alles war schmutzig, ihre Hände, ihre Kleider, ihr Auto. Nicht selten rissen die Plastiktüten. Und es stank.» So habe er angefangen zu pröbeln. Und zu googeln. «Jeden Abend sass ich am Computer.» In Deutschland gebe es einen Hof, auf dem Pferdemist pelletiert und kompostiert werde. Doch dies sei ein riesiger Energieaufwand. «Das konnten und wollten wir nicht.» Fast ein Jahr lang habe er ausprobiert und wieder verworfen. Schliesslich sei es gelungen. Seine Frau, eine Lebensmitteltechnologin, habe ihn dabei unterstützt. Wie muss man sich das vorstellen? «Der schwierigste Prozess ist das Flockieren und Trocknen. Das braucht an die 30 Stunden.» Dies geschehe durch eine Maschine, die auf dem Hof bereits für anderes eingesetzt werde, «so wird nicht zusätzlich Energie verbraucht, die warme Luft ist schon vorhanden.» Bieri zeigt die Maschine, in der Zeitung verraten möchte er das Vorgehen aber nicht: Es ist seine «Erfindung», sein Projekt.
Nach einem Jahr war es so weit: Er konnte das fertige Produkt beim Bundesamt für Landwirtschaft zertifizieren lassen. «Mir ist es wichtig, dass die gesamte Herstellung deklariert ist, dass alles auf einer sauberen Basis beruht.» Und wie lange ist der Dünger haltbar? «Ewig, in dieser Form.» Um es der Besucherin zu demonstrieren, schüttet er eine wenig davon in eine Glasschüssel und stellt sie auf den Tisch, wo die beiden für das Gespräch Kaffee trinken. Tatsächlich: kein Geruch, kein Dreck, federleichter Dünger, absolut sauber, der ein bisschen aussieht wie irgendein Salat. Denn auch das Heu, das die Pferde fressen, wurde auf dem Hof produziert. «Es ist alles dokumentiert. Vom Feld an, auf dem die Pferde zu fressen begannen, bis zum Bioheu.» Die Idee sei auch entstanden, weil er und Regina einen Beitrag zur Umwelt leisten wollten. «Wir wollten etwas machen, das ökologisch ist, der Biodiversität und Nachhaltigkeit dient. Wir möchten die Menschen sensibilisieren, lieber diesen Biodünger zu kaufen als Kunstdünger.»
Zweites Daheim: Inselspital
Zu Stephan Bieris Kunden zählen Privatpersonen, aber auch Landschaftsgärtner und Gemüsebauern. Diese kauften jeweils die grossen Säcke für ihre Treibhäuser. Was kostet denn so ein Sack Pferdedünger? «Ein 10-Liter-Sack kostet 12 Franken, ein 30-Liter-Sack 28 Franken und ein 50-Liter-Sack 40 Franken. Die Etiketten auf den Papiersäcken sind kleine Kunstwerke des Künstlers Air-Philippe. Vom Erlös eines jeden verkauften Sacks geht ein Teil an die Stiftung von Romy Tschopp.»
Tschopp kam 1993 mit Spina bifida, einem «offenen Rücken», zur Welt. Heute ist sie Vize-Weltmeisterin im Snowboardfahren und erzielt grosse Erfolge. Warum gerade sie? «Ich selbst erlitt in meinem Leben schwere Unfälle, bin auch auf eine Art beeinträchtigt. Doch mich konnten sie immer wieder zusammenbauen. Dieses Glück haben nicht alle. Ihnen möchte ich helfen.» Das Inselspital sei schon fast sein zweites Zuhause, erzählt der Bauer, der eigentlich Schreiner ist. Doch aufgrund eines Unfalls kann er seinen Beruf nicht mehr ausführen. «Für die Lehrabschlussprüfung im Jahr 1999 lernte ich links schreiben und zeichnen. Für die praktische Prüfung stand mir jemand zur Seite.» Stephan Bieri ist ein Phänomen: Obwohl das Schicksal hart zuschlug, bleibt er dankbar und demütig. «Ich habe andere gesehen … Sie glauben nicht, wie gut es mir im Vergleich zu ihnen geht.» Nicht selten habe er sich während der langen Zeit, die er im Inselspital verbracht habe, mit einem Zimmerkameraden zum Kaffee in der Cafeteria des Spitals verabredet – doch dann sei der Kamerad nicht gekommen. «Und ich erfuhr, dass er gestorben sei. Zack weg.» Das habe er nicht nur einmal erlebt. Man habe vorher im Zimmer noch zusammen gelacht – «dann fehlten sie plötzlich.» Ja, das habe ihn beschäftigt. «Sie sehen, mit geht es gut.»
Beide Arme weggerissen
1982, als Stephan Bieri drei Jahre alt war, hatte er den ersten schweren Unfall: Eine Maschine riss dem Kind den rechten Arm weg. Im Spital konnten sie diesen zwar wieder annähen, doch der Junge blieb beeinträchtigt. Dann, mit 19 Jahren, schnitt ihm beim Holzen eine hydraulische Maschine die Finger des rechten Arms ab, jenem, den er schon einst verlor. Vielleicht gar aufgrund dessen, dass er ihn nicht mehr richtig bewegen konnte. Bieri zeigt auf seine Hand: «Alle waren weg.» Auch die Finger konnten wieder angenäht werden.
Doch damit nicht genug. Vor 14 Jahren rutschte der Traktor, auf dem der damals 30-Jährige sass. «Es spickte mich weg.» Durch den Sturz riss es ihm beinahe den linken Arm weg. «Haut und Nerven hielten ihn noch am Körper, doch alles andere war Brei.» Ja, er habe schon grosse Schmerzen erlitten in seinem Leben. Sagt er. Aber erst auf Nachfrage. «Das Becken schmerzt, weil sie mir von dort immer wieder Knochen nehmen mussten.» Er habe nun alles künstlich: die Gelenke, die Blutbahnen, die Sehnen. «Überall ist Metall drin, Eisen, Schrauben, Nägel. Die Arme funktionieren nicht, wie sie sollten.» Er habe jahrelang Therapie gemacht, Krafttraining, «so ist es mir gelungen, dass ich wiederhergestellt wurde». Was auffällt und der Redakteurin dieser Zeitung grossen Eindruck macht: Der Gastgeber hätte von seinem Schicksal nichts erzählt, hätte sie ihn nicht danach gefragt. Nicht einmal am Telefon, als er sein Projekt vorstellte, erwähnte Bieri seine Unfälle. Er ist ein dankbarer, liebenswerter, starker und bescheidener Mensch. «Manchmal studiert man dem Schicksal schon hinterher. Doch ich habe, gerade in der Insel, so viel gelernt. Es gibt Menschen, denen Körperteile fehlen, die unheilbar krank sind, die nie mehr nach Hause können.» Auch als Vater habe er zu spüren bekommen, was dies heisse: «Unser Junge hatte einen Schädelbasisbruch. Fünf Wochen waren wir mit ihm in der Insel in Behandlung. Dort trafen wir auf Eltern, die ihre Kinder nie mehr mit nach Hause nehmen können … Unser Junge durfte nach fünf Wochen wieder heim. Da überlegt man sich schon manches.»
Auch deshalb unterstütze er Romy Tschopp. «Wir sollen doch unsere Träume verwirklichen können. Wir sind wahrscheinlich nur einmal auf dieser wunderschönen Welt.» Dann lacht der 44-Jährige: «Ja, es ist schon speziell, dass jemand, der Rossgaggle verkauft, jemanden unterstützt, die im Schneesport daheim ist.»
27 Operationen hat Stephan Bieri hinter sich. Deshalb stellte er vom Bauernbetrieb auf eine Pferdepension um. Die Pferde sind ihm seit seiner Kindheit nah. Sein Vater, Walter Bieri, war Dragoner. Er starb mit 54 an einer Lungenkrankheit. Aber das Schicksal schüttelte die Familie um Stephan Bieri weiter: Vor zwei Jahren starb sein Schwager, der ihm auch enger Freund war, mit 38 an Krebs. Seine Schwester, die mit ihrem Mann in Hasle-Rüegsau ein Gartenbaugeschäft aufbaut hatte, ist nun mit den kleinen Kindern allein. Dies sei ein Grund, weswegen er sich seinen Lebenstraum verwirklicht habe. «Träume soll man leben, nicht zu lange mit deren Verwirklichung warten.» Bieri reiste nach Australien und arbeitete zwei Monate auf einer Getreidefarm mit 3000 Hektar, in einem 100-Seelen-Dorf, «weit im Outback, zwischen Brisbane und Sydney». Dies habe ihm gutgetan.
«Da seckle Kängurus mit 40 Stundenkilometern neben dem Auto her.»
Die Pferdepension ist der erste Aktivstall in der Art. Er liesse sich nicht unterkriegen. Seine Familie sei ihm dabei eine grosse Unterstützung, sei sein Lebensinhalt. 22 Jahre lang sind er und seine Frau zusammen, seit zwölf Jahren sind sie verheiratet. Ihre Kinder, Mika, 11, Charlène, 9, und Emilia, 7, seien alles «Rösseler». Den Dünger bieten sie auf dem Hof und im Onlineshop an. Der Hof ist zertifiziert. Bieri hat weitere Ideen: Im Herbst soll es für beeinträchtige Kinder ein grosses Fest auf dem Hof geben. Mit Michel Fornasier, dem Gründer von «give children a hand». Ausserdem möchte Bieri Pferdetherapien für beeinträchtigte Menschen anbieten. Und Spielnachmittage mit Pferden. Für Kinder. Er ist im Gespräch mit einem Unihockeyclub … Und ja, eben: «Lebe deine Träume», sagt Stephan Bieri. «De einisch stirbsch und de fragt dr gli druf niemer me öppis drnah.»
www.aktivstall-bieri.ch