«Ich fürchte mich vor Folter und Tod»
Eine Mutter erzählt • Firoozeh lebt mit ihrer Familie in einem Berner Rückkehrzentrum. Der schwierige und belastende Alltag an einem Ort, der für die Menschen, die ausgeschafft werden, absichtlich nicht angenehm gestaltet wird, ist für sie und ihre Familie erträglicher als die Rückkehr ins Heimatland. An dieser Stelle erzählt die 37 Jahre alte Iranerin, die sich hier im Flüchtlingsparlament engagiert, wie es ihr im Iran erging und wie es ihr hierzulande geht.

Sie fürchtet sich vor Folter und Tod. Firoozeh kam mit ihrer Familie aus dem Iran hierher. Einem Land, wo die Frauen endlos eingeschüchtert und unterdrückt, wenn nicht getötet werden, wo ihnen Bildung und Selbstbestimmung verwehrt sind und wo regimekritische Männer verfolgt, gefoltert und/oder getötet werden.
Die Physiotherapeutin
Firoozeh verfügt über eine qualifizierte Berufsausbildung im Gesundheitsbereich, sie ist diplomierte Physiotherapeutin, höchst motiviert, sie liebt ihre Arbeit und beherrscht die deutsche Sprache. Eine weitere unserer Landessprachen hat sie in den vergangenen zwei Jahren in Schrift und Sprache von Grund auf erlernt.
In der aktuell verschärften Asyldebatte, angeführt von bürgerlichen Parteien, wird die Ausschaffung von «Abgewiesenen» gefordert, koste es, was es wolle. Der Preis dafür ist der Verlust der Menschlichkeit. Sowohl in unserem Denken als auch Handeln. Und das Eingeständnis, dass Menschenrechte und völkerrechtliche Vereinbarungen, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges Gültigkeit haben, angetastet und missachtet werden. Diese Werte dürfen wir nicht preisgeben.
Deshalb lassen wir zu Weihnachten an dieser Stelle Firoozeh selbst zu Wort kommen.
Die Geschichte von Firoozeh beginnt so: Eine iranische Frau flieht mit ihrem Mann und der kleinen Tochter in die Schweiz. Doch hier wird ihr Asylgesuch abgelehnt – die Familie wird abgewiesen. Wann, weiss sie nicht. Deshalb kommen Mutter, Vater und Tochter in ein Berner Rückkehrzentrum. Einen Ort, wo ganze Familien, oft mit Grosseltern oder Enkelkindern, in einem Zimmer leben, nicht arbeiten dürfen, sondern nur darauf warten, ausgeschafft zu werden.
Verhaftet, gefoltert und aufgehängt
«Wer seine Heimat verlässt und flieht, steht natürlich unter grossem Druck. In jeder kleinen Erinnerung steckt die Verbundenheit mit der Heimat, der Familie, der Arbeit, den Beziehungen und allem, was die Person früher besessen hat. Flüchten bedeutet viel Angst und Stress. Als Iranerin, die geflohen ist, kann ich sagen, dass die Leute, die aus meinem Land fliehen, Todesgefahr erlebt haben. Das wird ihnen hier kaum geglaubt, wahrscheinlich weil der Iran in keinen offenen Krieg mit einem anderen Land verwickelt ist. Aber wir haben einen Bürgerkrieg, den viele Menschen nicht überleben können!
Wem hier, bei der Befragung, nicht geglaubt wird, muss die Schweiz verlassen. Aber wohin? Wenn wir bei anderen Ländern der EU um Asyl bitten, werden wir gemäss Dublin-Abkommen hierher zurückgeschickt und müssen diesen Prozess erneut beginnen. Es ist ein Teufelskreis. Wenn wir in den Iran zurückgehen, werden wir verhaftet, gefoltert und aufgehängt.
Flucht ist kein Verbrechen
Aus diesen Gründen bleiben wir auch unter Nothilfe noch da und verlassen die Schweiz nicht: Flucht ist kein Verbrechen!
Wir, mein Mann und ich, sind Sufis (Derwische). Der Sufismus ist eine mystische Richtung verschiedener Glaubensrichtungen, es geht nicht um eine bestimmte Religion, es ist eine Denkart und Lebensweise.
Die Probleme haben sehr merkwürdig angefangen. Stell dir vor: An einem Tag machst du eine kurze Reise, legal und einfach. Nachher wirst du von der Regierung befragt, wieso und zu welchem Zweck du diese Reise gemacht hast . Du sagst, dass es einen familiären Grund gibt. Deine Regierung unterstellt dir, dass du selber in ein Problem verwickelt seist! Du versuchst, deutlicher zu erklären. Aber jedes deiner Worte wird dir im Mund umgedreht und steht plötzlich gegen dich selbst. Es geht um Verleumdung und Vertuschung. Du könntest diese Situation in meiner Heimat zu deinem Land vergleichen! Wenn du eine kurze Reise nach Frankreich machst, fragt dich deine Regierung danach, warum du diese Reise gemacht hast? Egal, was du sagst, die Antworten sind bereits gemacht, weil man dich aus anderen Gründen verurteilen will. Du trägst auf jeden Fall die Konsequenzen.
Das ungeborene Kind verloren
Wir haben drei Jahre im Iran gekämpft, um die schwierige Situation, die danach auf uns zukam, zu verbessern. Die Geschichte ist bitter und lang. Ich habe nach einer Gewalt-Attacke des iranischen Geheimdiensts mein ungeborenes Kind verloren.
Was würdest du machen, wenn du an meiner Stelle wärst? Woran würdest du denken? Worauf würdest du warten? Sind drei Jahre noch nicht genug? Hätten wir noch länger warten müssen, bis wir unser acht Jahre altes Kind auch noch verlieren? Oder bis eines von uns Eltern ums Leben kommt? Fragen beschäftigen mich und sie sind noch nicht beantwortet … Zurzeit sind wir da. Verletzt, aber am Leben – und voller
Hoffnung!
Die Möglichkeit, zu arbeiten
Ich bedanke mich bei der Schweiz für den Schutz, ein Dach über dem Kopf zu haben, und bei den Menschen, die sich für unsere Not interessieren.
Wenn wir als ‹normale›, reguläre Personen bezeichnet würden und trotz vieler Schwierigkeiten die Möglichkeit hätten, zu arbeiten, könnten wir unser Leben selbst finanzieren und wären nicht von der Sozial- und Nothilfe abhängig, sondern wir könnten unabhängig leben. Wir möchten nichts lieber als das. Es wäre eine Win-win-Situation für alle und meine Vision für die Zukunft. Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Ich hoffe, dass wir ein normales Leben haben dürfen. Wir und unser mittlerweile zehn Jahre alter Sohn.» Firoozeh (Nachname der Redaktion bekannt)
Die 37 Jahre alte, gebildete Firoozeh ist Mutter eines zehn Jahre alten Sohnes, sie engagiert sich im Flüchtlingsparlament. Firoozeh hat in den vergangenen zwei Jahren die deutsche Sprache von Grund auf gelernt. Diesen Text schrieb sie eigenständig. Kleine orthografische Korrekturen wurden in Absprache mit der Begleiterin Nothilfe, Ursula Fischer, und der Redakteurin des «Berner Landboten», Sonja L. Bauer, vorgenommen.