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"Wir dürfen nicht warten, bis noch dramatischere Zeiten anbrechen"

«Wir dürfen nicht warten, bis noch dramatischere Zeiten anbrechen, sondern müssen uns versöhnen, solange wir nicht aufeinander angewiesen sind.» Dieser Satz steht im Buch «Über mich sprechen wir ein andermal», von Edna Mazya, einer in Israel bekannten jüdischen Schriftstellerin. Das Buch, das ich gerade las, erhielt ich 2008 zur Besprechung zugesandt – was ich versäumte. Vor Kurzem zog ich es aus dem Regal – und verschlang es in drei Tagen. Wahrscheinlich war es nicht einmal vor 16 Jahren so himmeltraurig aktuell wie heute. Ruth, die Grossmutter der Protagonistin, die von Heidelberg nach Tel Aviv flüchtete, schrieb 1936 in ihr Tagebuch: «Palästina ist nicht minder verrückt als Europa. Die Juden sind arrogant und pathetisch und benehmen sich, als gälten nur ihre Belange. Und die Araber sind in ihrem Stolz verletzt und nicht zum Nachgeben bereit. Sie lehnen jede Lösung ab, um die Quelle ihrer Macht nicht zu verlieren. Die Benach­teiligung schürt ihren Zorn.» Das Buch ist brillant in Geschichte, Sprache und Ehrlichkeit. Die Protagonisten kämpfen für die Gleichberechtigung der beiden aufeinanderprallenden Völker, indem sie deren kulturellen Unterschiede und beidseitige Schwächen in die Lösungsfindung einbeziehen. Mazya sagt, was nötig ist und was sich viele heute nicht mehr zu sagen wagen.

So wurde in den Jahren blutiger Auseinandersetzung im Nahen Osten und 68 Jahre nach dem Tagebucheintrag das letzte Wort im Buchtitel (andermal) zum Brandmal für die Menschen im Nahen Osten. Dies Gezeichnetsein wird zur Prägung, zum Mal. Zum Muttermal als Mahnung. Das Wort Mutter ist Synonym für Heimat. Und während die Bomben in Gaza fallen, was keiner Seite nützt, sind es die Mütter, die ihren Kindern in den Trümmern unter Tränen Schlaflieder singen. Die nie müde werden, die Scherben eines Traums wieder zusammenzufügen. So ist der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshof gegen drei Hamasführer, aber auch Israels Premierminister und seinen Verteidigungsminister nichts als folgerichtig.