Skip to main content

-

Coop, Migros und das Wohl der Tiere

Coop-Kind oder Migros-Kind? Über Jahrzehnte hatte diese Frage für Herrn und Frau Schweizer beinahe religiösen Charakter. Kabarettist Gabriel Vetter stilisierte die ewige Entscheidung einst zum grossen Schweizer Kulturkampf: Auf der einen Seite die Migros-Kinder aus bescheidenen Verhältnissen, früh zum «Schlüsselkind» geworden. Auf der anderen Seite die Coop-Kinder aus gutem Haus, die bereits mit fünf Jahren wissen, dass ein Delfin kein Fisch ist.

Heute sind die ideologischen Gräben weitgehend zugeschüttet. Und auch wenn das Image der Migros als preisgünstige Alternative zu Coop weiterhin kursiert, zeigen Sortiments- und Preisanalysen: Die Unterschiede sind marginal. Die beiden orangen Riesen marschieren im Gleichschritt – mit Cumulus und Supercard, M-Budget und Prix Garantie, V-Love und Karma, «Generation M» und «Taten statt Worte». Gerade bei letzteren Parallelen zeigt sich, dass die Detailhändler nicht nur Produkte verkaufen wollen, sondern auch Werte. Ernährung soll nicht nur schmecken, sondern Verantwortung spiegeln. Das Tierwohl hat dabei einen besonderen Platz bekommen. Unterstützt von den Ernährungsempfehlungen des Bundes, geben sich Coop und Migros gerne als Teil der Lösung – klimafreundlich, gesundheitsbewusst und moralisch fortschrittlich.

Doch zwischen Anspruch und Wirklichkeit liegt ein Graben. Während die Marketingabteilungen unermüdlich mit Begriffen wie «Nachhaltigkeit» oder «Tierwohl» jonglieren, läuft in der Praxis vieles in die entgegengesetzte Richtung. Statt das Angebot tierfreundlicher zu gestalten, wird die Nachfrage nach Billigfleisch befeuert. Produkte aus Massentierhaltung erhalten prominente Platzierungen, während tierfreundliche Alternativen oft versteckt im Kühlregal vor sich hin frieren. Be-sonders augenfällig wird dieser Widerspruch beim Hühnerfleisch. Beide Grossverteiler bauen ihr Angebot an billigem Fleisch aus Qualzucht weiter aus. Diese Entwicklung ist ein Bruch mit den eigenen Versprechen. Die Migros hat zentrale Versprechen aus ihrer «Generation M» stillschweigend aufgegeben. Bei Coop wurde die Verantwortung fürs Tierwohl kurzerhand ausgelagert – auf freiwillige Labels und das gute Gewissen der Kundschaft. Doch Detailhändler tragen Verantwortung – nicht nur, weil sie unsere Einkaufsrealität prägen, sondern weil sie mit Produktplatzierungen, Preisgestaltung und Werbung unsere Entscheidungen beeinflussen. Sie können fördern, was gekauft wird. Oder eben verhindern. Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass allein die Konsumierenden das System ändern müssen. Wer die Macht über das Regal hat, hat auch die Macht über das System.

Wenn Coop und Migros es mit Nachhaltigkeit ernst meinen, dann reicht es nicht, die moralische Latte in der Werbung hoch zu legen – sie müssen auch drüberspringen. Ein tierfreundliches Sortiment darf keine Premium-Nische sein, sondern muss zum Standard werden. Qualzucht darf nicht im Aktions-flyer landen. Und das Wohl der Tiere darf nicht dem Preiskampf geopfert werden. Taten statt Worte? Unbedingt!

Philipp Ryf ist Geschäftsführer von Sentience. Sentience setzt sich auf politischer Ebene für die Interessen von Tieren ein.