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«Ausgewogene Naturschutzmassnahmen helfen»

Insektensterben | Hannes Baur ist Leiter der Insektensammlung am Naturhistorischen Museum Bern. Er erklärt, welchen Lebensraum Insekten brauchen und warum ihr Bestand rückläufig ist.

| Adrian Hauser | Gesellschaft
Hannes Baur
Hannes Baur vom Naturhistorischen Museum Bern erforscht die Insekten. Foto: Nelly Rodriguez/zvg

Was brauchen Insekten für Lebensräume?
Hannes Baur: Insekten brauchen naturbelassene, strukturreiche Lebensräume, die durch möglichst wenig menschliche Einflüsse beeinträchtigt sind. Solche Einflüsse können beispielsweise starke Bewässerung oder Giftstoffe in der Luft sein. Bei Bewässerung gestaltet man den Lebensraum massiv um. Es wird zwar alles schön grün, doch weniger artenreich. Auch die Struktur ist wichtig. Das heisst, dass Wiesen eine gewisse Struktur haben sollten. Eine Wiese sollte nicht nur aus dichtem Gras bestehen, sondern auch ein reiches Angebot an Blumen enthalten, der Boden nur lückig bedeckt sein. Aber auch die Landschaft sollte strukturreich sein mit Büschen, Bäumen und Wäldern. Die unterschiedlichen Lebensräume der Insekten müssen miteinander vernetzt sein. Dadurch kann der Austausch von Individuen zwischen den einzelnen Populationen stattfinden.

Wie muss man sich das vorstellen? Dass die Insekten hin- und herwandern?
Am Beispiel vom Wallis kann man das gut erklären. Von Martigny bis Brig gibt es einen grossen Südhang, in dem es viele Trockenlebensräume gibt. Gibt es ein Insekt, das in Trockenwiesen lebt, dann kommt es oft überall entlang des Hangs vor. Denn die Populationen durchmischen sich. Greift der Mensch nun aber ein und legt dazwischen Kulturen wie Reben an, die vielleicht noch stark mit Pestiziden behandelt werden, können im Lebensraum künstliche Barrieren entstehen. Dies führt zu einer Fragmentierung der Habitate. Dabei können sich die Insekten nicht mehr in vollem Mass austauschen, und es kann sogar zum lokalen Erlöschen von Populationen kommen. 

Wo können Insekten im urbanen Raum überleben?
Dort gibt es die gleichen Probleme. Doch die Habitatfragmentierung ist natürlich noch viel ausgeprägter. Als Beispiel könnte der «Hoger» in Bremgarten bei Bern erwähnt werden. Das ist eine sehr schöne, grosse Magerwiese und ein Naturschutzgebiet von nationaler Bedeutung. Leider ist es im Umkreis von vielen Kilometern das einzige solche Habitat. Das heisst, viele Insektenpopulationen gibt es nur dort. Stark flugfähigen Arten fällt es leichter, sich auszubreiten, doch andere haben diesbezüglich mehr Mühe. 

Was ist denn das grösste Problem für Insekten?
Das grösste Problem ist, dass es zu wenig naturbelassene Lebensräume gibt. Auch die moderne Landwirtschaft ist ein Problem. Beispielsweise sind heute viele Wiesen eigentlich keine Wiesen mehr, sondern eine Futtergrassaat. Das ist eine Monokultur, in der es die Insekten schwer haben. Denn es gibt nichts Blühendes, und die Pflanzen stehen sehr dicht beieinander. Früher gab es zur Fütterung diese Fettwiesen mit viel Löwenzahn. Die sind zwar nicht so ideal wie Trockenwiesen, aber es existierten darin immerhin noch zwei, drei Arten von Heuschrecken. Bei den heutigen Graskulturen stehen die Pflanzen jedoch so eng, dass die Heuschrecken darin keinen Lebensraum mehr finden und sich darin auch nicht vermehren können. Denn es kommt nicht mehr genug Wärme von der Sonne an den Boden, damit sich die Eier entwickeln können. Viele Bauern machen auch zur gleichen Zeit alle dasselbe über grosse Flächen hinweg. Dadurch werden die Ressourcen gekappt.

Die grossflächige Bearbeitung der Landschaft ist also ein Problem?
Ja, das Regime der Bewirtschaftung wird an gewissen Orten ökonomisiert. So werden beispielsweise in gewissen Gegenden ganze Talschaften innerhalb weniger Tage abgemäht. Stellen Sie sich vor, Sie sind so eine Heuschrecke, stehen am Morgen auf und die ganze Welt um Sie herum hat sich komplett verändert. Auch wenn genug Flugfähigkeit vorhanden ist, können Sie stundenlang fliegen, finden aber keine andere Umgebung, weil ja die ganze Talschaft in kürzester Zeit bewirtschaftet wurde. 

Wie hat sich denn der Bestand der Insekten über die letzten Jahre verändert?
Wir reden aktuell ja vom Insektensterben, und das geht auf eine Langzeitstudie von 2017 des entomologischen Vereins von Krefeld zurück, die über einen Zeitraum von 27 Jahren geführt wurde. In der Studie wurde ein Rückgang der Insekten um etwa drei Viertel der gesamten Menge festgestellt. Das ist dramatisch! 

Was bedeutet dieser Rückgang der Insekten für das gesamte Ökosystem?
Das ist natürlich verheerend. Vor allem auch für Lebewesen, die Insekten fressen. Das sind beispielsweise die insektenfressenden Vögel, deren Bestand massiv zurückgegangen ist.

Wovon ernähren sich denn Insekten selber?
Sehr häufig von Pflanzen, gewisse Insekten auch von absterbenden oder verdorbenen Pflanzen, die sie zersetzen. Es gibt auch Insekten, die sich von verschiedenen Arten von Tieren ernähren. Das geht hin bis zu Parasitismus, also beispielsweise der Floh, der auf einer Katze sitzt. Es gibt auch solche, die ihre Brut in Kadaver von Kleinsäugetieren legen. Viele Insekten fressen andere Insekten. Sie sind sich selbst eigentlich die grössten Feinde. Das sind beispielsweise alle parasitären Wespen. Die suchen sich einen Wirt, den sie damit dezimieren. Sie nehmen damit eine wichtige Regulierungsfunktion wahr, denn sonst gewännen pflanzenfressende Insekten die Überhand, und das wäre wiederum nicht gut für das ökologische Gleich­gewicht. 

Was kann jeder Einzelne tun, um das Insektensterben zu stoppen?
Wenn man einen Garten oder Balkon hat, kann man den Insekten Trittsteine für einen natürlichen Lebensraum bieten. Dies beispielsweise durch ein Nahrungsangebot mit Blumen in der Wiese. Man kann auch Bienenhotels aufhängen. Das ist eine sehr gute Sache, vor allem auch didaktisch. Man sollte sich jedoch bewusst sein, dass damit vor allem ein paar wenigen, häufigen Arten geholfen wird. Den anderen Arten helfen in erster Linie ausgewogene Naturschutzmassnahmen.


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