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Regionale Währungen und mehr Handwerk

Vision | Unser aktuelles Wohlstandsmodell ist nicht mehr zu retten. Einer, der diese These vertritt, ist Niko Paech. In seiner Streitschrift «Befreiung vom Überfluss» aus dem Jahr 2012 plädiert er deshalb für eine etwas andere Form des Wirtschaftens.

| Thomas Abplanalp | Gesellschaft
Haus, Flugzeug, Auto
Es muss nicht immer alles gross und viel sein. Bild erstellt mit Microsoft Designer.

Fossile Rohstoffe, Metalle, seltene Erden und Flächen. Nur durch die schonungslose Ausbeutung von Ressourcen können wir unser Konsum- und Mobilitätsniveau aufrechterhalten. Wie Paech schreibt, bräuchte die Natur aber dringend eine Verschnaufpause. Doch ein System, dessen Funktionieren vom wirtschaftlichen Wachstum abhängt, gibt der Natur keine Ruhe. Anders gesagt scheitert ein unendliches Wachstum an einer endlichen Menge von Ressourcen. 

Hier konsumieren, dort schaden

Eine Oxfam-Studie aus dem Jahr 2020 zeigt, dass die reichsten zehn Prozent der weltweiten Bevölkerung für über die Hälfte der CO2-Emissionen zwischen 1990 und 2015 verantwortlich sind. Die Schweiz gehört dazu. Die ärmere Hälfte der Menschheit verursacht lediglich sieben Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Gleichzeitig leiden viele dieser ärmeren Hälfte unter den sozialen und ökologischen Folgen der Klima­katastrophe. Menschen in modernen Konsumgesellschaften wie der Schweiz leben gemäss Paech über ihre Verhältnisse. Einerseits fehlen vielen Leuten die körperlichen Fähigkeiten, um ihre Bedürfnisse zu stillen. Beispielsweise sind nicht viele in der Lage, ein Feld zu bestellen oder einen kaputten Gegenstand zu reparieren. Andererseits fehlt vielen Personen das Wissen darum, welche Ressourcen lokal und regional sind. Dementsprechend konsumieren sie viele Güter aus anderen Teilen der Welt, mit häufig entsprechend negativen ökologischen Folgen. 

Innovation und Rebound

Die Vorstellung, das eigene (Konsum-)Verhalten zu reduzieren oder zumindest zu verändern, bereitet vielen Menschen Mühe. Und das, obwohl Studien zeigen, dass die Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens ab einer gewissen Grösse kein zusätzliches Glück mit sich zieht. Wie Paech schreibt, liegt das wohl am symbolischen Nutzen vieler Güter. Mit den Gütern, die wir konsumieren, positionieren wir uns in der Gesellschaft, grenzen uns von anderen ab und finden Zugehörigkeit zu anderen. Das zeigt sich beispielsweise bei der Wahl unserer Fortbewegungsmittel, unserer Lebensmittel, die wir zu uns nehmen, unserer Kleidung oder unserem Urlaubsverhalten. 

Und weil eine Verhaltensänderung häufig mit grosser Anstrengung einhergeht, hoffen viele auf technologische Innovationen, die sich um die klimatischen Probleme kümmern. Hier winkt Paech ab, indem er auf den Rebound-Effekt verweist. Selbst wenn technologische Neuerungen gewisse Güter energie­effizienter machen, nimmt die Natur unter Umständen sogar noch mehr Schaden, weil die Nachfrage nach diesen Produkten steigt. 

Als typisches Beispiel dienen Energie­sparlampen. Wer Energiesparlampen kauft, lässt diese möglicherweise länger leuchten, weil sie weniger Strom verbrauchen. Vielleicht werden sogar zusätzliche Lampen in der Wohnung installiert, um diese noch heller zu machen. So wird letzten Endes noch mehr Strom gebraucht. Zulasten der Umwelt. 

Paech schliesst daraus, dass eine Verhaltensänderung unumgänglich ist. 

Vision

Grundsätzlich plädiert Paech in seiner Streitschrift für eine Rückkehr zur Sesshaftigkeit und zum menschlichen Mass. Weil der aktuelle materielle Wohlstand auf einer ökologischen Plünderung basiert, sollten die Mobilität wie auch der Konsum regionaler und lokaler werden. Bezogen auf den Konsum schlägt Paech auch vor, Güter zu teilen. Gerade Geräte wie Rasenmäher, die in einem Haushalt nicht jeden Tag zum Einsatz kommen, bieten sich als gemeinschaftlich geteiltes Gut an. Und anstatt kaputte Güter zu entsorgen, können diese repariert werden. Wenn nicht von einem selbst, so vielleicht von einer bekannten Person aus der Nachbarschaft oder im Rahmen
eines Repaircafés. 

Eine weitere Veränderung wünscht sich Paech hinsichtlich der Produktion von Gütern. Um einen vermeintlich gros­sen Wert aus einem Gut zu schöpfen, entstehen absurde Situationen. Als Beispiel nennt er das deutsche Bundesland Niedersachsen. 2012 reichten die Flächen dort nicht mehr aus, um den eigenen Bedarf an Getreide zu befriedigen, weil mehr Landwirte die bisherige Getreideproduktion auf Energie­mais umgestellt hatten, um so dank einer Einspeisevergütung höhere Renditen zu erzielen. Das fehlende Getreide musste entsprechend importiert werden. 

Gerade in Zeiten der digitalen Revolution basieren viele Berufe auf Arbeiten am Computer oder Tablet­. Viele früher körperlich anstrengende Tätigkeiten werden maschinell und häufig gar automatisiert erledigt. Paech spricht sich nicht dafür aus, auf sämtliche technologische Fortschritte in der Indus­trie zu verzichten. Gleichwohl erhofft er sich durch eine regionalere Produktion von Gütern, dass wieder mehr Menschen dazu befähigt sind, Dinge selbstständig zu produzieren. Abgesehen von umweltbelastenden Transportkosten spricht auch dieser Aspekt seiner Ansicht nach dafür, die allzu spezialisierte Arbeitsteilung in gewissem Masse rückgängig zu machen. Wer den ganzen Tag nur für einen Teilschritt in der Produktion eines Guts zuständig ist, dem fehlt häufig ein Bezug zum erarbeiten Produkt. Dadurch sinkt die Arbeitszufriedenheit. 

Zu seiner Vision gehören auch regionale Währungen, die ausserhalb der bestehenden Marktwirtschaft zum Einsatz kommen. Die Kernidee solcher Währungen besteht darin, dass sie eben nur in einer bestimmten Region und nur von denjenigen Unternehmen oder Privatleuten angenommen werden, die ein Teil dieses parallelen Markts sein wollen, der nicht auf Wachstum, sondern auf Bedürfnisdeckung ausgerichtet ist. Alternativ zu regionalen Währungen können Dienstleistungen oder materielle Güter gegen andere Dienstleistungen oder materielle Güter getauscht werden, ein Tauschhandel entstünde.

 


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