"Die Luft über dem Land war scharfkantig vor Kummer"
«Die Luft über dem Land war scharfkantig vor Kummer. Die Menschen auf dem Heimweg duckten sich und wurden doch von den umherfliegenden Scherben getroffen.» Dies schrieb der Schriftsteller Niall Williams 1997 in «Four letters of love». Wir ducken uns auch. Allesamt. Überall auf der Welt. Heute genauso wie einst.
Als mir als Kind meine Mutter vom Zweiten Weltkrieg erzählte, dachte ich, dies sei die Vergangenheit, die Welt werde besser und besser, die Menschen klüger und klüger. Liebevoller und liebevoller. Doch je mehr Zeit verging, desto mehr wuchs der Schmerz der Welt. Kürzlich las ich, dass wir ihn spüren müssten. Das immense Leid der Menschen im Krieg, der Menschen auf der Flucht. Der Tiere. Der schwitzenden Erde. Tun wir es nicht? Doch, wir tun es! Doch viele von uns halten jegliches (fremde) Leiden von sich fern, indem sie es ignorieren. Indem sie schweigen, wo aufstehen angebracht wäre. Oder schreien, wo Diskurs Lösungen brächte. Wut und Hass richten sich meist nach aussen. Weil man sonst innerlich verbrennt.
Schriftsteller und Denker Stéfane Hessel schrieb in «Empört Euch» gegen die sich weltweit breiter machende Ignoranz und Feigheit an. Letzteres ein Begriff, der spätestens seit dem Tod der «Drei Musketiere» nicht mehr beleidigt, was ich bedaure. Die Einsicht der eigenen Feigheit bringt zum Nachdenken. Nachdenken zum Ändern. Reflektierte Menschen haben die Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen. Über die eigene Person hinaus.
Betreffend der Kriege dürfen wir uns nicht anmassen, aus der Ferne zu urteilen. Trotzdem wissen wir haargenau, dass sowohl im Nahen Osten als auch in Syrien und der Ukraine, überall auf der Welt, wo Kriege herrschen, grosses Unrecht geschieht. Weil es um Menschen und deren einzig(artig)es Leben geht. Pazifistinnen und Pazifisten gelten als naiv. Wer zum Beispiel sagt, es sei Unrecht, was der Bevölkerung in Gaza geschieht, gilt sogleich als Antisemit. Mit Schlagworten werden Tatsachen erschlagen und Friedensdiskurse verhindert. Auf allen Seiten wird die Geschichte vorgeschoben, grausames Handeln dahinter versteckt. Doch «Wahrheit» ist das Bild, Wahrnehmung dessen Pixel. Für vom Krieg betroffene Menschen ist das Warum und Weshalb unwichtig. Sie wollen, dass ihre Kinder leben. Sie brauchen Frieden.
Es scheint, dass Niall Williams recht hat: «Bei längerer, genauerer Beobachtung gleicht das menschliche Verhalten alsbald nichts so sehr wie dem willkürlichen Hin und Her von Insekten auf einem Teller mit Weintrauben.»