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Tierproduktion ohne Bodenhaftung

Wir sprechen in der Schweiz gern über unsere Landwirtschaft. Vom Boden, von Höfen, von Kreisläufen. Doch wer wissen will, wie die gängige Fleischproduktion wirklich funktioniert, sollte besser von der
industriellen Tierproduktion sprechen. Denn sie hat mit landwirtschaftlicher Bodenhaftung kaum mehr etwas zu tun.

Besonders deutlich zeigt sich dies bei den beiden meistverzehrten Tierarten: Hühner und Schweine. Diese Tiere
können kein Gras verwerten und leben fast ausschliesslich im Stall – in hochspezialisierten Betrieben, die auf maximale Effizienz ausgelegt sind. Sie brauchen keine Weide, keinen Acker und in vielen Fällen nicht einmal ein Fenster. Statt lokalem Futter gibt es importiertes Kraftfutter – Soja aus Südamerika, Getreide aus der EU. Die Produktion ist vollständig losgelöst vom Ort: Haupt­sache, die Logistik funktioniert.

Was früher auf Hof, Heuboden und Wiesen beruhte, funktioniert heute über Silo, Förderband und Standard­rezept. Und weil Schweine und Hühner nur wenige Wochen leben, können die gleichen Stallflächen bis zu sieben Mal pro Jahr neu belegt werden. Das Ergebnis: Millionen Tiere, Millionen Tonnen Futter – und eine vermeintlich «lokale» Produktion, die sich nur dank globalen Ressourcen aufrechterhalten lässt.

Dieses System ist hochgradig effizient – aber auch hochgradig fragil. Es braucht immer neue Inputs, ist abhängig von Märkten und Subventionen, belastet Böden, Klima und Biodiversität. Vor
allem aber verdrängt es jene Landwirtschaft, die wirklich im Einklang mit dem Boden steht: Weidehaltung, Familienbetriebe, echte Kreisläufe. Heute investieren viele Bäuerinnen und Bauern lieber in Stahl und Beton als in Bodenfruchtbarkeit – weil es sich kurzfristig besser rechnet.

Die industrielle Logik macht vor nichts halt. Statt den Tierbestand an die verfügbare Fläche anzupassen, passen wir die Fläche, mit Hilfe von Futtermittelimporten, an die Tierzahlen an. Statt echte Nährstoffkreisläufe zu fördern, exportieren wir Überschüsse und importieren Stickstoff in Form von Soja und Getreide. Statt lokalen Wirtschaftens betreiben wir ein globales System mit Schweizer Anstrich.

Wer in der Schweiz Fleisch kauft, tut dies oft im guten Glauben, damit auch die lokale Landwirtschaft zu unterstützen. Doch was auf dem Teller landet, hat mit Landwirtschaft im eigentlichen Sinne oft wenig zu tun. Wenn wir eine Landwirtschaft wollen, die uns lang­fristig ernährt, die Tiere nicht zur Ware degradiert und den Boden nicht zur
Nebensache macht, müssen wir umdenken. Weniger Tiere, mehr Weide, echte Kreisläufe – und eine klare Ab­sage an eine Tierhaltung, die sich nur noch über Exporte und Importe ­definiert.

Philipp Ryf ist Geschäftsführer von Sentience. Sentience setzt sich auf politischer Ebene für die Interessen von Tieren ein.