Königin der Schweiz
Freie Gedanken zum 1. August: Als kleines Kind zählte ich mit meiner Grossmutter am 1. August jeweils die Höhenfeuer, die nach Einbrechen der Dunkelheit auf der ersten Jurakette aufleuchteten. Eins, zwei, mehrere nacheinander zeigten sich und verbanden sich zu einer Lichterkette am Horizont. Das Schauspiel hat mich immer fasziniert.
Ein Feuer zu entzünden, das Wärme und Licht spendet, verbinde ich mit einem Ritual der Gemeinschaft, das Kraft und Energie spendet und Körper, Geist und Seele nährt.
In dieser 1.-August-Nacht heulten die Böller, es knallten Raketen, spuckten Feuerwerkskörper Farbenpracht und Glitterregen in die Nacht. Lichtblitze und Getöse, losgeschossen im Sekundentakt, drangen durch Regenwolken und bescherten eine wuchtige, laute Pracht.
Wäre ich Königin der Schweiz, dann würde ich mich besonders für die leisen Töne stark machen. Dann würde ich wünschen, dass sich die Menschen in diesem «gelobten Land» Zeit nähmen, genau hinzuschauen, sich zu freuen an hellen und wärmenden Lichtern.
Ich würde mir die Freiheit nehmen, den Lauten zu gebieten, feine Stimmen und Schattierungen nicht zu übertönen.
Und würde dafür sorgen, dass alle Menschen in unserem Land in Freiheit und Frieden leben. Dass sie selbstbestimmt wohnen und arbeiten dürften und sich solidarisch und offen zeigen würden gegenüber der Welt.
Dass die Stärkeren sich am Wohl der Schwächeren messen und wir einander ein Leben in Würde und gegenseitigem Respekt zugestehen.
Die Königin erfindet dabei keine neuen Werte, sie stimmt mit den einleitenden Worten der Schweizerischen Bundesverfassung absolut überein.
Ich möchte mich hier lebendig fühlen. Wir lieben die Schweiz. Ich hoffe gute Nachrichten zu hören. Ich hoffe, alles läuft gut.
Das schreibt mir eine geflüchtete Mutter, die mit ihrer Familie in ungeklärtem Aufenthaltsstatus im Rückkehrzentrum lebt. Sie wartet und hofft, aus der Enge der verordneten Unterkunft herauszufinden, will sich dem Leben zuwenden, selbstbestimmt wohnen,
arbeiten, für sich und andere sorgen.
Begegnungen mit Menschen aus einer fernen Welt erscheinen mir wie Lichter, die aufleuchten am dunklen Horizont. Sie verdienen Respekt und Beachtung.
Das Wohlergehen unserer Gesellschaft wird sich in der Zukunft auch am Wohl dieser Menschen in Not zu messen haben und daran, wie wir als Gesellschaft mit der Aufgabe umgehen, würdig zusammen zu leben.
Ursula Fischer ist Mutter, Grossmutter und Lehrerin und begleitet Kinder und Jugendliche im schulischen und familiären Umfeld. Sie besucht regelmässig asylsuchende Menschen im Bernischen Rückkehrzentrum Enggistein und engagiert sich in der Aktionsgruppe Nothilfe:
www.ag-nothilfe.ch