«Sei wachsam»
Demokratie heisst, miteinander zu sprechen, Gespräche zu führen. Aber auch, andere Meinungen auszuhalten. Jedenfalls bis dahin, wo diese die Grenze der Integrität überschreiten. So, dass wir eingreifen müssen: Bei Rassismus, Antisemitismus, Gewalt. «Wir fragen zu schnell nach den Grenzen der Toleranz», sagt der Philosoph Jürgen Wiebicke, in «reformiert.». Auch ich bin der Meinung, wir sollten diese Grenze weiter stecken, damit wir uns nicht so schnell, wie es heute modern ist, über Kleinigkeiten empören müssen. Ganz im Gegensatz zu Elementarem, bei dem wir mehr und mehr feige still bleiben. Ich halte es mit Reinhard Meys altem Lied «Sei wachsam, fall nicht auf sie rein! Die Freiheit nutzt sich ab, wenn du sie nicht nutzt. Sei wachsam; merk dir die Gesichter gut. Sei wachsam, bewahr dir deinen Mut und sei auf der Hut!» Mey bezieht sich auf oben genannte Themen, bei denen die Grenzen der Integrität massiv überschritten werden: Krieg, Verfolgung, Rassismus – wie sie im Gaza geschehen.
Warum müssen wir aushalten, wie die israelische Armee im Auftrag von Netanjahu und seinen rechten Schergen einen Krieg vor allem gegen Kinder führt?! Dagegen aufzustehen heisst nicht gleichzeitig, antisemitisch zu sein! Wer steckt hier die Grenzen der Toleranz? Längst schon wird unsere ureigene Integrität verletzt, während unsere Regierung wartet und zuschaut, bis alle Menschen im Gaza getötet und vertrieben sind?! Auch kleine Schritte hälfen: Palästina als Staat anzuerkennen! Ein Statement, wie es Politikerinnen und Politiker in einigen Ländern längst
wagen. Endlich Rettungsaktionen für Palästinenser durchzuführen! Prioritäten setzen, ohne zu fürchten, man
könnte in jemandes Gärtchen treten, während Häuser und Herzen anderer von Bomben zerrissen werden.
Die Sonderberichterstatterin Francesca Albanese spricht Klartext zum Gaza-Mord: «Guys, have you lost your mind?»: Sie verurteilt das Verbrechen vom 7. Oktober in Israel, weil es abscheulich ist, sie verurteilt aber auch den Massenmord im Gaza – während sich die israelische Regierung über die Welt lustig macht, weil diese dabei nur zusieht. So sagte einer von Netanjahus rechtsextremen Partnern, der dafür ist, den ganzen Gaza einzunehmen und die Palästinenser von dort zu vertreiben, öffentlich: «Solange die Welt zuschaut, was wir hier machen und nichts dagegen tut, machen wir weiter.» Ist das noch zum Aushalten?! Kann es wirklich sein, dass sich der Schweizerische, gewaltfreie Widerstand, den ich unterschreibe, darauf beschränkt, vor dem Fernseher ein Bier zu trinken? Und sich die Empörung der Mitmenschen allein auf die Demonstrierenden in Bern konzentriert, die diese Ohnmacht nicht mehr ertragen? Echt jetzt?!
Notabene: Wenn ehemalige Pazifisten sagen, Pazifismus sei nicht mehr zeitgemäss, nur, weil sich der Krieg heute für sie näher anfühlt, dann muss ich mich über diesen Verrat fremdschämen. Aber mehr noch darüber, dass wir Schweizer feige und Haltungs-frei beim Mord im Gaza zusehen.