«Es geht ums Tun und nicht ums Siegen»
Gewaltfreier Widerstand • Konstantin Wecker ist Poet, Liedermacher, Musiker, Autor – aber vor allem Pazifist. Der grösste Poet unserer Zeit bleibt auch in schwierigen Zeiten dem Frieden treu. Am 7. Mai gastierte er im Bierhübeli Bern. Ein Erlebnisbericht der Autorin, die Wecker seit 30 Jahren kennt und schätzt.

Ich lernte Konstantin Wecker im Südwestrundfunk Baden-Baden kennen. Ich war 25, er 45. Er war in jeder Beziehung wild und frei und selbstsicher – und frönte dem reinen Leben. Ich war jung und hungrig und – verliebte mich. Nein, nicht in ihn – wobei, ein bisschen schon … –, sondern in seine Poesie: in seine Lieder, seine Gedichte, seine Haltung. Da war jemand, der dachte und fühlte wie ich von jeher, und dessen Kunst so gross war, dass ich in ihrem Schatten errötete. Jemand, der, trat er auf die Bühne, einen Schweif Menschen hinter sich herzog, gar Hallen füllte mit Pazifistinnen und Pazifisten, Antifaschisten, die dem Antisemitismus, der Gewalt generell wehrten. Menschen, die, wie er, Hans und Sophie Scholl verehrten, das Morden verachteten. Die einen «feigen» Deserteur als weit grösser empfanden als einen sogenannt mutigen, aber toten Helden. Die gegen den Krieg waren und gegen Waffen. Damals hingen überall jene berühmten Plakate, die einen Soldaten im Krieg zeigten, der, getroffen von einer Kugel, im Sterben die Arme hochwarf. «Why» stand darüber. Wir waren die damaligen Linken. Wir waren für Abrüstung und die Abschaffung der Armee (deshalb wundere ich mich heute: Was ist geschehen? Warum sind die Menschen, auch hier in der Schweiz, über alle Parteien hinweg, zu Kriegstreiberinnen und Kriegstreibern geworden? Mit fadenscheinigen Argumenten …; zu Menschen, die lieber den Tod (natürlich fremder) junger Soldaten in Kauf nehmen, als Lösungen zu suchen, frei von Egoismus?!). Nun denn: Konstantin Wecker ist seinem Pazifismus treu geblieben. Auch wenn der Pazifismus von einigen als naiv bewertet wird. Wenn das Töten zur Realität wird, ist dann nicht das Leben an und für sich naiv? Es ist beim Pazifismus wie beim Schwanger-Sein: Entweder man ist es oder nicht. Konstantin Wecker und ich werden es bleiben, über unseren Tod hinaus.
Ich arbeitete damals, um mir als junge Mutter das Journalismus-Studium zu verdienen, im Südwestrundfunk Fernsehen als Aufnahmeleiterin. Wecker kam als Künstler. Bald darauf verloren wir einander aus den Augen, um einander viele Jahre später wieder zu treffen. Ich, nach zehn Jahren beim SWR Deutschland längst wieder daheim in der Schweiz, traf ihn als Journalistin wieder, porträtierte ihn, schrieb über seine Konzerte. Es entstand eine Freundschaft. Wecker schrieb schliesslich das Vorwort meines Buches «Schattenspiel im Sternenlicht», und ich durfte ab und an seine Gedichte lesen, bevor sie in Melodien flossen. Für mich bleibt er der grösste Poet unserer Zeit. Zudem ist er ein grossartiger Musiker, ein begnadeter Komponist mit unverkennbarer Handschrift. Am 7. Mai, dem Tag vor dem 80-Jahre-Jubiläum zum Ende des Zweiten Weltkriegs, trat er mit seinem langjährigen Freund, dem brillanten Pianisten Jo Barnikel, im Bierhübeli Bern auf. Für ein Lied mit auf der Bühne war die junge Querflötistin Celia Kruse aus Steffisburg (siehe Box), und im Publikum sass die Spiezer SP-Nationalrätin Ursula Zybach.
«Die Lieder und Gedichte kamen zu mir, doch heute verstehe ich viele erst», sagt Konstantin Wecker oft, den ich als lebendes Sprachrohr der Poesie an sich verstehe. Wecker trat während seiner fast 60 Jahre andauernden, hallenfüllenden Karriere mit zig bekannten Künstlerinnen und Künstler auf. Darunter natürlich seine Liedermacher-Kollegen Reinhard Mey und Hannes Wader. Aber auch Joan Baez, Pippo Pollina, Lucio Dalla und viele mehr. Er schrieb wohl an die zwanzig Bücher, allesamt klug und tiefsinnig, gab Platten und CDs heraus, die letzte erschien gerade: «Lieder meines Lebens» heisst sie und beinhaltet sowohl Klassiker als auch neue Stücke und Gedichte. Und immer wieder ruft er zum Frieden auf. Für mich muten nicht nur seine Elegien an, als erhöbe sich Rainer Maria Rilkes Geist, um via Wecker zu sprechen.
«Es war ein intensives Konzert», sagt Wecker zu jenem ausverkauften im Bierhübeli Bern. «Die Auswahl der Lieder entspricht meinem Alter.» Er freut sich, dass er die «Elegien», die er vor vielen Jahren schrieb, wieder für sich entdeckte: 40 Jahre später. «Jetzt, im Alter », sagt er – Konstantin Wecker wird am 1. Juni 78 Jahre alt –, «verstehe ich vieles besser, anders als früher. Da begriff ich viele meiner selbst geschriebenen Lieder nicht annähernd wie heute.» Wecker, der mit vielen Preisen ausgezeichnet wurde, ist ein hoch spiritueller Mensch geworden. Nein, immer einer gewesen. Selbst wenn er dies manchmal selbst nicht erkannte. Einer, der auch mit dem dritten Auge zu sehen vermag. «Ich wusste, dass meine Songs gut und richtig sind. Aber nun treffen mich die eigenen Texte Wort für Wort.» So zum Beispiel jenes Gedicht «Jeder Augenblick ist ewig» aus dem Buch «Auf der Suche nach dem Wunderbaren – Poesie ist Widerstand»: «Dichtung ist Abglanz von anderswo und strömt als Gleiches durch gleiche Herzen.» In seinem aktuellen Bühnenprogramm trägt er zudem einige neue Texte vor, die auch in seinem neusten Buch sein werden, das im kommenden September erscheinen wird und den wunderschönen Titel «Der Liebe zuliebe» trägt. Ein Lied, das selten an einem Konzert von Konstantin Wecker fehlt, ist «Gefrorenes Licht», das er seinem Freund, dem Atom- und Quantenphysiker Hans-Peter Dürr widmete. «Ich schrieb das Lied, um verstehen zu können, was Dürr meinte, als er mir erklärte, dass es Materie eigentlich gar nicht gibt. Das sie, eben, eigentlich nichts ist als gefrorenes Licht.» Er mag das Lied, das ist, wie alles, was uns ausmacht: pure Energie. Es ist ein grossartiges Werk.
Auch das Publikum im ausverkauften Bierhübeli reagierte stark, berührt und mit stehenden Ovationen auf das Können und Charisma des 78 Jahre alten, sich und der Welt treu bleibenden Künstlers. Und ich erkannte: Vereint sind es doch viele, die für den Frieden stehen. «Es geht mir vor allem um den gewaltfreien Widerstand, der medial so oft unterdrückt wird», sagt Wecker beim Gespräch am Tag darauf, am 80. Jahrestag nach Ende des Zweiten Weltkriegs. «Es gibt auch in der Ukraine einen gewaltfreien Widerstand, aber das wird in den Medien nie erwähnt.» Konstantin Wecker geht es darum – wie er auch in seinem «Pazifistischen Credo» sagt: «Ich kann meine Entscheidung, gewaltfrei zu leben, anderen Menschen nicht als Ideologie überstülpen, aber ich kann versuchen, die Menschen davon zu überzeugen und dafür zu begeistern. Und zwar mit Gedichten und Liedern, durch Kultur.» Er selbst entschied sich persönlich, «in jeder Hinsicht auf Gewalt zu verzichten». Während des Konzerts zitierte er Martin Luther King: «Unbewaffnete Wahrheit und bedingungslose Liebe werden das letzte Wort in der Wirklichkeit haben.» Diese «unbewaffnete Wahrheit» ist für Wecker entscheidend. «Ich bin in erster Linie Künstler, kein Politiker. Und als Künstler versuche ich über meine Möglichkeiten und meine Wege für die Gewaltfreiheit und den Widerstand zu werben. Aber für den gewaltfreien Widerstand.» Auf der Bühne lebt Konstantin Wecker auf. Vergisst sein Alter, das ihn auch versehrt: Da ist seine verletzte Hand, die ihn nicht mehr alles auf dem Klavier spielen lässt. Über die Krankheit will er in den Medien nicht viel sagen. «Sonst werde ich in Talkshows allein darauf angesprochen.» Ich persönlich frage mich: Was sagt dies über die Talkshows aus? Denn der spirituelle Künstler mit dem ausschweifenden Leben hat zu viel zu sagen, als nur über seine Hand zu sprechen. Von (Lebens-)Lust und – ja, auch von sich selbst zugefügtem – Leid und Freude. Denn da ist einer, der trotz allem so gern lebt.
Mit Drogen hörte Konstantin Wecker längst und mit Alkohol aus spirituellen Gründen auf. Davon erzählt er im neuen Buch. Auch vom «Saufen» und von dessen Dämonen. Von spirituellen Erlebnissen. Vom Suchen und Sich-berühren-Lassen. Von Angst, Wissen und Offenbarung. Und von dem, was bleibt: der Liebe als Verbindung von Mensch zu Mensch zu Natur und Universum. «Es wird dir sehr gefallen», sagt er zu mir. Und erzählt von einem seiner prägendsten Träume. Auch davon handelt sein Buch. «Ich wusste, es war kein Traum. Es war eine Begegnung.» Und immer wieder treibt ihn, seit er ein Kind war, die Frage um: «Warum das alles? Warum das Leid, warum?» Reicht es zu antworten: um zu lernen? Doch wofür? «Niemand kann mir nehmen, was ich im Traum erlebte», so Konstantin Wecker, der im Buch auch von seinem Nahtod-Erlebnis berichtet. «Da ist mehr, als wir wissen. Aber wir können es ahnen, fühlen.» Immer entscheidender werde: «Mein Buch wird eine Art revolutionäre Botschaft sein. Und trotzdem eben tief spirituell.»
Unterdessen sang Konstantin Wecker schon wieder viele Konzerte, an vielen Orten. Darunter Friedrichshafen. Und Graz. «Die haben eine kommunistische Bürgermeisterin», schmunzelte der grosse Poet und Künstler beim Abschied in Bern. «Im sonst zu einem grossen Teil faschistisch gewordenen Österreich.» Doch wo immer die politische Ausrichtung hingehen mag, wir sind uns einig: Mit Waffen wird kein Frieden gewonnen.