Der Schweizer in England
Robin Hood • Seit 115 Jahren gibt es die Tellspiele in Interlaken. Seit zwei Jahren auf der «wohl schönsten Freilichtbühne der Welt» nun auch Robin Hood. Und zwar in Schweizerdeutsch, natürlich mit Übersetzungsmöglichkeit fürs Ohr.

Was für ein Engagement! Und das bei strömendem Regen. Während die zahlreich gekommenen Zuschauerinnen und Zuschauer gut geschützt unter der Überdachung in ihren Bankreihen sassen und staunten, spielten die über 100 (hauptsächlich) Laiendarstellerinnen und -darsteller – darunter 32 Sprechrollen – im Regen, als hätten sie ihn absichtlich für die Premiere bestellt. Dieser Tage schon kaum mehr vorstellbar, öffnete sich der Himmel Ende Juli, als müsste Petrus seine Schäfchen dringend ins Trockene bringen.
An die 150 Personen – von den Schauspielern über Bühnenbild und Kostüme, bis hin zur Technik, Restauration, Kasse und Büro – tragen zum Gelingen von «Robin Hood» bei. Für die «Tell-Freilichtspiele Interlaken», die von Pascal Minder präsidiert werden, beraubt Robin von Loxley alias Robin Hood nach der Ermordung seines Vaters die Reichen und beschenkt die Armen. Doch nicht allein dies zählt. Viel wichtiger ist der Widerstand: Robin wehrt sich gegen den fiesen Sheriff von Nottingham. Rächt dessen Opfer und bewahrt die Ehre des abwesenden Königs von England, Richard Löwenherz.
Feuer, Pferde und ein Wermutstropfen
Doch nicht allein Robin Hood, an der Premiere gespielt von Luca Michel (Zweitbesetzung Philip Naef), begeistert das Publikum, sondern vor allem ist es die Minnesängerin, gespielt vom Profi Milena Feuz (Zweitbesetzung Sacha Krähenbühl), die das Publikum mit Gesang und Spiel entzückt. Ihre einfühlsame Darstellung fasziniert und ihre sanften Töne kontrastieren die imposante Pyrotechnik und bilden einen spannenden Kontrast mit dem rasanten Tempo, das «Robin Hood» auszeichnet. Die Spielfreude aller Darstellerinnen und Darsteller, Action mit Feuer und Seilbahn quer über die Bühne sowie die vielen zum Einsatz kommenden Pferde, die sich sichtlich über ihren Auftritt freuen, und die sattelsicheren Reiterinnen und Reiter machen aus dem Abend ein Erlebnis. «Robin Hood» kann gut und gern mit grossen Bühnenstücken in Konkurrenz treten. Und es lassen sich gar Parallelen zum einstigen Wilhelm-Tell-Thema ziehen: Das Widerstehen Robin Hoods passt auch gut zum Schweizer (Tell-)Charakter. Klar könnte man sich als Zuschauerin fragen, warum mitten in der Schweiz eine Sage aus England erzählt wird, gäbe es in der Schweiz doch genug Theater-taugliche Geschichten, die darauf warten, erzählt zu werden. Doch wahrscheinlich steht «Robin Hood» stellvertretend für die Mahnung, nicht einfach mitzulaufen, wenn despotische Herrscher ihr Volk unterdrücken. Zum Zeitgeist passt «Robin Hood» also – leider, müsste man fast sagen – allemal. Gespielt wird in Berndeutsch. Wer es nicht versteht, kann sich einen Knopf im Ohr genauso mieten wie eine warme Militärdecke. Ob diese aktuell noch gebraucht werden, lässt sich allerdings bezweifeln. Ein Wermutstropfen allerdings bleibt in Erinnerung: Zu Beginn der Premiere wurden Kühe über die Bühne getrieben. Ob sie auch so Freude daran haben wie die Pferde offensichtlich, weiss ich nicht. Dass sie der Stolz der Schweizer sind, ist bekannt. Meistens trägt man grosse Sorge (im Wortsinn) zu denen, die einem diesen Stolz bescheren. Was bestimmt auch die Besitzerinnen und Besitzer dieser prächtigen Tiere tun. Gerade deshalb stellt sich die Frage, ob sich die Schönheit der edlen Tiere wirklich nur an der Prallheit ihrer Euter messen lässt, die ihnen beim Gehen nicht nur Freude bereitet.
Für die künstlerische Leitung und die Regie verantwortlich ist Tiziana Sarro, für die treffenden Kostüme sind es Desirée Naef und Tamara Lehmann. Für die berndeutsche Fassung ist Klemens J. Brysch zuständig. Die musikalische Leitung hat Balz Aliesch inne.
Inklusives Theater
Natürlich soll auch die Inszeniereung dem Zeitgeist entsprechen, nicht allein die Botschaft. So dürfen alle mitspielen, die Freude am Theater haben – und das tun sie auch. Ob es allerdings nötig ist, dass Schwester Tuck – im Original ist Bruder Tuck für das Komische zuständig – gegen Ende erwähnt, sie sei sowohl Schwester als auch Bruder, sei dahingestellt. Ihr im Vorfeld angerissener Witz funktioniert über das gesamte Stück und das ist die Hauptsache.
Auf jeden Fall kämpfen Loxley, Little John und Lady Marian mit ihren Freundinnen (fast) emanzipiert für die Gerechtigkeit. Witziger Gag: Mit dabei im tiefsten englischen Sherwood Forest ist ein Söldner aus der Schweiz, der, weil er sich weigert, einen Unschuldigen zu ermorden, gehängt werden soll. Auch dies also typisch schweizerisch: Auf dass dies immer so bleibe!