Zwischen dem Oberland und der Karibik
Ich sitze mit Amaya Gloor im «toi et moi» in Bern. Amaya ist eine Erscheinung, zieht auf der Strasse die Blicke der Passantinnen und Passanten hinter sich her, wie Schneewittchen ihren Schleier bei der Hochzeit mit dem Prinzen. Nur dass Amaya Gloor keinen Prinzen braucht, um gerettet zu werden. Das tut sie schon selbst. Die grosse, junge, unglaublich attraktive Frau ist nicht allein mit einer Schönheit gesegnet, die Sehnsüchte weckt und Träume schürt, sondern auch mit einer Aura, die weit ins 20. Jahrhundert zurückzureichen scheint. Dahin, wo die Frauen noch einen Hauch Geheimnis auf sich trugen wie ein edles Parfum. Das alles aber reichte nicht, damit die 24 Jahre alte Schweiz-Costa-Ricanerin vor vielen Menschen auftreten dürfte, wie kürzlich am Energy Air in Thun – vor 25 000 Personen. Denn Amaya Gloor hat eine Stimme, an der Orpheus seine Freude hätte. Der nicht allein Blicke folgen, wie ihrem schönen Gesicht, sondern Herzen. Die Vögel vom Himmel und Fische aus dem Wasser zu ziehen imstande zu sein scheint. Soulig, schwarz, poppig. Wie Caramel und Honig mit einem Schuss schwarze Schokolade und rotem, trockenen Wein.
Nat King Cole und Sia
«Nat King Cole und Sia sind zwei meiner musikalischen Vorbilder», sagt Amaya. Die ich an dieser Stelle lieber beim Vornamen nenne denn beim Nachnamen. Schliesslich habe ich das Riesentalent nicht erst heute kennengelernt. Ich kenne Amaya seit vielen Jahren. Sie wiederum kennt mein Haus und mein Herz. Ich weiss um ihre sensitive, suchende Künstlerseele und erfreue mich jedes Mal an ihrem erfrischenden Lächeln, das ihre vermeintliche Unnahbarkeit bricht. Ein Lächeln, das zu ihrer Stimme passt: warm, reif und voll.
Fast wäre ich versucht zu wünschen, Amaya Gloor würde mehr komplexere (Soft-)Songs singen, wie sie es so gut kann, liesse man sie. Denn diese würden sich, davon bin ich überzeugt, aus dem Mainstream der heutigen Zeit hervorheben, wie Whisky aus Wasser, wie orange Jeans aus grünen Uniformen.
Soul, Jazz, Pop
Amaya Gloor war fünf, sechs Jahre alt, als sie – nach der Inspiration eines Schultheaters – daheim versuchte, das Erlebte am Klavier nachzuspielen. «Daraufhin erlaubte mir mein Vater, Klavierunterricht zu nehmen.» Doch der Weg war lang. Viele ihrer Lehrpersonen erkannten ihr Talent nicht, rieten ihr, aufzuhören, da sie keine Lust hatte, Noten zu lernen. «Ich machte einfach weiter. Ich hörte auf mich, vertraute mir.» So, wie das Seelen tun, die wissen, wofür sie leben. «Ich spielte einfach nach Gehör. Bis zu den Melodien von Beethoven.» Weil sie endlich auf eine Lehrerin stiess, die offener war als die anderen – «sie reiste bis nach Indien, war weltgewandt» – und ihr Talent erkannte, und zwar jenes, das in ihrer Stimme lag, kam Amaya zum Singen. «Ich sang meinem Vater im Zimmer Lieder vor. Rief ihm, wenn er aus der Schule kam» (ihr Vater, Gerhard Gloor, war Lehrer, Anm. d. Redaktion): «Papa, komm, du musst zuhören, ich möchte dir vorsingen.»
Schliesslich nahm Amaya Gloor Gesangsunterricht bei jemandem, die vor allem Klassik unterrichtet. «Das lag mir nicht und passte nicht zu mir. Mein Herz schlug immer mehr für die Weltmusik, für Jazz und Pop.»
I walk alone
Wie fast alle anderen jungen Menschen auch postete Amaya schliesslich ihre Gesangsvideos auf Instagram und anderen Plattformen und – man lese und staune – «Universal Music» wurde auf sie aufmerksam. Heute hat Amaya Gloor einen Manager. Wie war es, Amaya, am Energy Air Thun zum ersten Mal vor 25 000 Personen aufzutreten? «Es ist einfacher, vor vielen Menschen aufzutreten als vor, zum Beispiel, 20. Denn diese nimmt man alle wahr.» Wer Amaya Gloor sieht, staunt über ihr stilles Selbstvertrauen. Dass es zerbrechlich ist, weiss jede, die das Leben kennt …
Ihr zurzeit bekanntester Song heisst «I walk alone». Auf dem Music-Video trägt die schweizerisch-costa-ricanisch-jamaikanische Sängerin einen Cowboyhut. «Das Video mit den Kühen nahm ich in Unterseen im Berner Oberland auf», freut sich Amaya Gloor. Der Nachbargemeinde von Sundlauenen, wo sie aufwuchs. Die Kühe des Bauern Feuz grasen nicht selten im kleinen Dorf zwischen Unterseen und den Beatushöhlen. Sundlauenen liegt am Thunersee, ist eines der schönsten Dörfer der Welt. Vater Gerhard Gloor ist ein Thuner, die Mutter kommt aus Costa Rica, wohin die Familie mindestens einmal im Jahr für längere Zeit fliegt.
Drei Kinder und ein Reisebüro
Amaya Gloors Grosseltern wanderten einst von Jamaika nach Costa Rica aus. «Sie liessen grosse Kakao-Plantagen in Jamaika zurück.» In Costa Rica zogen sie an die Karibikküste. Sprachen: Englisch als Erst- und Spanisch als Zweitsprache. Amaya Gloor, die eine KV-Ausbildung absolvierte, spricht vier Sprachen fliessend, in weiteren ist eine gute Kommunikation möglich.
Ihr Onkel wurde Gouverneur des Ortes, an dem die Familie der Mutter, Damaris Patterson, noch immer lebt. Ihre Eltern lernten sich kennen, als Damaris in Oklahoma Tourismus studierte, da sie, als brillante Schülerin, ein Stipendium für die USA erhielt. «Sie arbeitet als Tourismusexpertin. Mein Vater lernte sie durch sein Abschlussstudium kennen. Er besuchte die Bibliothek, in der sie arbeitete.» Amaya Gloor lacht: «Doch sie gab ihm einen Korb. Dann noch einen, noch einen – bis sie endlich gemeinsam eine Cola trinken gingen.» Damals war ihre Mutter 28, der Vater sieben Jahre älter.
Drei Kinder bekamen die Eltern.
Megan ist die älteste. Eine begabte Sportlerin. Sie war Schweizer Meisterin im Kugelstossen. Heute ist sie Lehrerin, wie der Vater einst. Der jüngere Bruder, Ryan, ist in der Ausbildung. Auch er ist sportlich sehr begabt, ein kluger junger Mann.
Heute betreibt die Familie ein Reisebüro, bietet Individualreisen nach Costa Rica an (www.iguana-reisen.ch).
Reisen und schwarze Schokolade
Kürzlich war Amaya Gloor in London, um Songs zu schreiben. Gemeinsam mit einem Songwriter, der sie in diesem Handwerk coacht. Und sonst, Amaya, wie spielt das Leben? «Ich bin oft am Songs-Aufnehmen, im Studio.» Und wenn du nicht singst, was tust du? «Ich habe gern viel Zeit für mich», sagt sie. «Und ich liebe Reisen – und schwarze Schokolade.»
Einmal im Monat singt Amaya Gloor im Hotel Bellevue in Bern. Und am 5. Dezember nun im Hotel Wetterhorn auf dem Hasliberg. Wer sie engagieren will, sollte sich beeilen. Denn von Amaya Gloor wird die Welt, im Wortsinn, noch hören …