Hochwasserschutz ja, aber wie?
Seftigen • Die Gemeinde Seftigen ist immer wieder von starkem Hochwasser betroffen. Um dagegen anzukämpfen, soll die kommende Gemeindeversammlung von Ende Mai richtungsweisende Entscheide fällen. Doch ein Kritiker meint, die Vorschläge des Gemeinderats taugten nichts.

Die Gemeindeversammlung von Ende Mai wird in Seftigen sehr wahrscheinlich für Diskussionen sorgen. Es geht um Massnahmen zum Hochwasserschutz im Quartier Stampfimatt, für den die Gemeindeversammlung vorerst einmal einen Projektierungskredit bewilligen soll. Dieser beläuft sich auf 106 000 Franken. Die Gesamtkosten des Projekts sollen dann allerdings rund eine halbe Million betragen. Das ist viel für eine Gemeinde, deren Budget letztes Jahr gerade mal mit einer runden Null abschloss. Zwar gab es einen Ertragsüberschuss von 238 987 Franken, dieser wurde jedoch dem Eigenkapital zugeführt. Vermögenstechnisch steht die Gemeinde allerdings nicht schlecht da. Das Finanzvermögen der Gemeinde belief sich Ende 2024 auf rund 4,5 Millionen Franken, das Verwaltungsvermögen auf rund 9,4 Millionen.
Beträchtliche Schäden
Das Hochwasser brachte Seftigen bereits nationale Medienpräsenz mit Berichterstattungen von «Watson», in «20 Minuten» und «Berner Zeitung». Einmal im Jahr 2021, das andere Mal 2024. In beiden Jahren war Seftigen innerhalb weniger Tage gleich mehrfach vom Hochwasser betroffen. Im Jahre 2021 hatte man kaum die Keller ausgepumpt, als innerhalb von 24 Stunden nein weiteres Unwetter die Häuser flutete. Gemäss der Gemeinde liegt dies vor allem auch an der Topografie: Die Lage am Hangfuss und der Bahndamm im Norden begünstigten einen Rückstau des Wassers, schreibt die Gemeinde in den Unterlagen zur kommenden Gemeindeversammlung. Und: Kurze und intensive Gewitterregen führten zu einem raschen Abfluss des Oberflächenwassers von den umliegenden Hängen und dadurch zu einer Überströmung des Weidengräbli.
Im Jahre 2021 habe sich das wahre Ausmass dieses Problems gezeigt. Starke Niederschläge innerhalb von zwei Tagen überfluteten das Stampfimattquartier bis zu einem Meter hoch.
«Zu klein dimensioniert»
Das soll sich nun ändern. In einem Grundsatzentscheid soll sich die Gemeindeversammlung für eine Variante entscheiden. Für diese beantragt der Gemeinderat einen Projektierungskredit. «Gemäss dem vom Gemeinderat beauftragten Ingenieurbüro Kissling + Zbinden AG ist die Entwässerung des Dorfteils im Istzustand deutlich zu klein dimensioniert», sagt Hans-Ulrich Tagmann-Brunner, der selbst in der Stampfimatt wohnt. Es muss also etwas geschehen. In seinen Augen aber so wie es das Ingenieurbüro empfiehlt, nicht wie jetzt der Gemeinderat beantragt. Denn gemäss Hans-Ulrich Tagmann-Brunner ist mit der Umleitung des Oberflächenwassers um das Siedlungsgebiet auch die Entwässerungsleitung auszubauen. Die Variante 1 sieht vor, den bestehenden offenen Entwässerungsgraben südlich des Siedlungsgebiets bis zum vorgeschlagenen Rückhaltebecken neben dem Bahngleis zu verlängern. Gemäss Hans-Ulrich Tagmann-Brunner bemerkenswert ist, dass die «Kissling + Zbinden AG» in ihrem Schlussbericht die nun beantragte und vom Gemeinderat bevorzugte Variante 1 hinsichtlich «Hochwassersicherheit, Robustheit, Gesamtsystem, Schutzziel» als neutral einstufe. Die günstigste Variante 3 mit oberflächlichem Zufluss zum Rückhaltebecken erfordere eine höhere Notfallorganisation wie beispielsweise Feuerwehr und bringe hinsichtlich Hochwassersicherheit ebenfalls keinen Mehrwert gegenüber der Ist-Situation.
Vom Ingenieurbüro wird Variante 2 favorisiert. Dies, weil in ihren Augen die Erstellung des Rückhaltebeckens, der Ersatz der eingedolten Entwässerungsleitung durch einen offenen Graben zum Rückhaltebecken und den Ausbau der bestehenden Sauberwasserleitung zur Entwässerung des Dorfteils Ahornweg, Sunnmatt und Stampfimatt führe. Die Varianten 1 und 3 sollen gemäss Hans-Ulrich Tagmann-Brunner den oberflächlichen Wasserfluss von der Quartierstrasse fernhalten, doch
verbessern sie in seinen Augen die Entwässerung des Dorfteils nur in Kombination mit dem Ausbau der Entwässerungsleitung. Eine zeitnahe Entleerung des Rückhaltebeckens ist sonst nur durch jeweiliges Abpumpen durch die Feuerwehr möglich. Hans-Ulrich Tagmann-Brunner sieht eine mögliche Kompromissvariante, die nicht in den Versammlungsunterlagen erhalten ist. Sein Vorschlag: die Kombination des Abflusses ohne offenen Graben von Variante 3 mit dem Ausbau der bestehenden Sauberwasserleitung in Variante 2. «Die Vorteile dieser neuen Variante sind eine relativ kostengünstige Verbesserung der Hochwassersicherheit und eine geringere Beeinträchtigung der landwirtschaftlichen
Nutzung gegenüber einem offenen Graben in der Weide», erklärt Hans-Ulrich Tagmann-Brunner. «Diese Variante wäre nur unwesentlich teurer als die vom Gemeinderat beantragte Variante 1, doch würde sie die Hochwassersicherheit verbessern.»
Schutz des gesamten Quartiers
Simon Ryser (GLP), Gemeindepräsident von Seftigen, sieht das anders. «Der Gemeinderat hat sich bewusst nicht für die günstigste, sondern für die für das Gesamtsystem effektivste Variante entschieden», erklärt Simon Ryser. Auch bei der Variante 3 ergeben sich gemäss Simon Ryser Einschränkungen für die Bewirtschaftung, womit ein möglicher Vorteil gegenüber den anderen Varianten reduziert wird. «Weiter ist es so, dass Variante 3 die geringste Sicherheit der Funktion des Projektziels bietet», sagt Simon Ryser. «Deshalb hat der Gemeinderat die Variante 3 verworfen.» Der Gemeinderat habe die Vor- und Nachteile zwischen Variante 1 und Variante 2 intensiv diskutiert. Das primäre Ziel der Hochwasserschutzmassnahme sei der Schutz des gesamten Quartiers südlich der Bahnlinie und nicht alleinig der Stampfimatt. Somit ginge es darum, eine maximale Dosierung des Abflusses des anfallenden Oberflächenwassers sicherzustellen. Würde man die Entwässerung aus dem Regenrückhaltebecken grösser dimensionieren, würde dies das bereits belastete nachgelagerte Sauberwassersystem zusätzlich belasten. Reduziere man demgegenüber den Abfluss aus dem Rückhaltebecken, womit man die Funktion eines solchen Beckens auch wirklich ausnutze, trage dies zum Hochwasserschutz im gesamten Gebiet bei. Und trotzdem: «Die Aussagen zu den Kosten sind im Ansatz sicherlich richtig», räumt Simon Ryser ein. Nur sei es so, dass der Ausbau der Sauberwasserleitung vollumfänglich zulasten der Gemeinde ginge, da in diesem Fall von Gesetzes wegen keine Gelder beim Kanton beantragt werden könnten. In Variante 3 oder der neu vorgeschlagenen Variante 4 könnten gemäss Simon Ryser die Geländemodellierungen sowie der Damm des Rückhaltebeckens dem Kanton angerechnet werden, der dann einen gewissen Teil rückvergütet. «Allerdings kann die Kantonsregierung bei fehlender Gesamtwirkung nicht darauf eintreten», so Simon Ryser weiter, der am Entscheid seines Kollegiums festhält: «Im Sinne einer Gesamtbetrachtung des Sauberwassersystems südlich der Bahnlinie bis zur Einmündung in die Müsche kann gesagt werden, dass die Variante 1 die optimale Variante darstellt und deshalb der Gemeindeversammlung beantragt wird.»