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«Wir brauchen Herausforderung und Lämpe»

 
 Thun • Bereits zum 4. Mal lud das «Überparteiliche Frauenforum Thun-Oberland» zum Vernetzungsanlass für Frauen aus Politik, Verwaltung, Gesellschaft, Wirtschaft und Verbänden ein. Ein Abend voller Energie, Inspiration und Kraft.
| Sonja Laurèle Bauer | Politik
Sichtbar und vernetzt: Vizepräsidentin Anna-Katharina Zenger begrüsste 23 Kandidatinnen für die kantonalen Wahlen vom Frühling 2026. (Bild: zvg)

«Vergnügte Resilienz statt verbissener Widerstand» war das Thema des diesjährigen überparteilichen Frauenforums Thun Oberland, das im Hotel Aare in Thun stattfand und zu dem über 150 Frauen erschienen und gern mehr gekommen wären. Doch der Anlass war schnell ausgebucht.

Die Psychiaterin, Buchautorin und Referentin Esther Pauchard hielt ein erfrischendes, freies Referat zum allgemeinen «Work-Life-Wahnsinn» im Leben einer engagierten Frau. Das Podiumsgespräch leitete Radiomoderatorin und Abenteurerin Maria-Theresia Zwyssig. Die Gäste waren neben Esther Pauchard Anita Luginbühl, engagierte Politikerin, ehemalige Gemeinderätin, Gemeindepräsidentin und Grossrätin, Geschäftsfrau und Mutter von drei erwachsenen Kindern und heute Präsidentin VIVA Thunersee und Verwaltungsrätin, und Nathalie Hauenstein, die mit 27 Jahren ins Familienunternehmen eintrat. Heute ist sie eine der treibenden Kräfte der Hauenstein Gruppe. Sie trägt die Hauptverantwortung für den Bereich Hotellerie und Gastronomie. Darüber hinaus ist sie als betriebliche Mentorin tätig und unterstützt Führungskräfte bei der Bewältigung beruflicher Herausforderungen. 

Organisiert wurde der Anlass von einem Team (siehe Box), das von Marianna Lehmann präsidiert wird. Anwesend waren auch Nationalrätin Fabienne Stämpfli und die Thuner Vizestadtpräsidentin Katharina Ali-Oesch sowie die Gemeinderätinnen Andrea De Meuron und Evelyne Salzmann; Grossrätinnen sowie Gemeindepräsidentinnen und -rätinnen wie auch die Regierungsstatthalterinnen Simone Tschopp (Thun) und Ariane Nottaris (Frutigen, Niedersimmental). 

Frauen ermächtigen

Ins Thema eingeführt hat Regierungsrätin Evi Allemann. Sie sei zu Beginn ihrer politischen Karriere oft gefragt worden, wo denn die Kinder seien. «Am Anfang rechtfertigte ich mich, fiel in einen Erklärungsmodus, der mich müde machte», so Allemann. Dann habe sie begonnen, humorvoll zu antworten: «Ich habe die Kinder auf dem Spielplatz gelassen, bis ich wiederkomme. Oder: Sie warten vor der Tür auf mich.» Die Lacher hätten den Fragenden etwas den Spiegel vorgehalten, die Situation entschärft und zu konstruktiven Gesprächen animiert. «Wir müssen uns nicht auf Muster einlassen.»

Eine moderne Frau trage nach wie vor die Hauptlast und die Verantwortung in Beziehung, Familie, Beruf. Sei oft ehrenamtlich tätig, leiste Betreuungsarbeit, müsse/wolle allem gerecht werden: «Sie soll und will eine gute Mutter, präsente Partnerin, aufmerksame Freundin, effiziente Berufsfrau sein. Und fragt sich selten: Wie geht es eigentlich mir?!» Gesund bleiben funktioniere nur dann, «wenn ich nicht nur für andere, sondern auch für mich selbst verantwortlich bin». Allemann rät zum Mut zur Pause und zu «Me-time-Einträgen» in der Agenda. «Die genauso ernst zu nehmen sind wie die anderen Termine.» Zwar gelinge ihr das auch nicht immer. Doch sie bleibe dran, sich selbst genauso ernst zu nehmen. «Wir müssen Visionen entwickeln.» Ihr Fazit zum Anlass: «So viel starke, weibliche Energie. Ich gehe nach diesem Anlass mit mehr Energie heim, als ich herkam. Und das ist selten …»

Ausgeliefertsein vs Selbstwirksamkeit

«Ja, es ist eine irrwitzige Zeit. Es läuft (zu) viel, wir werden manchmal richtiggehend überschwemmt», bestätigt Psychiaterin Esther Pauchard zu Beginn ihres Referats. Kein Wunder, sähen sich viele als Opfer der Aussenwelt, seien gelähmt und dächten, sie könnten selbst gar nichts tun. «Sie fühlen sich ausgeliefert. Da ihre Aufmerksamkeit allein dem Aussen gewidmet ist, sie die Probleme im Aussen sehen, muss, denken sie, auch die Lösung im Aussen liegen. Was aber, wenn es dort keine gibt?» Es gebe ein Gegenkonzept.

Pauchard sagt, wie sehr ihr die Selbstwirksamkeit am Herzen liege, und erklärt: «Sie ist die Überzeugung eines Menschen, schwierige Situationen selbst meistern zu können.» Denn: «Belastbarkeit entsteht in der Belastung, nicht im Darüber-Reden.» Der Nachteil: «Es bedeutet Arbeit.» Stress sei heute ein Reizwort. «Wenn wir das Wort Stress nur hören, löst es etwas aus in uns.» Nicht selten denke man, «man sei dem Tode geweiht, wenn man nur ein bisschen Stress hat», die Angst vor Stress bedeutet meistens eben Stress. Denn heute heisse es stets, man müsse sich schonen, da Stress gefährlich sei. «Damit unser Körper gut funktionieren kann, muss er gebraucht werden. Muskeln, die nicht gebraucht werden, verkümmern.» So sei es auch mit der Psyche. «Was nicht gebraucht wird, wird abgeschafft.» Medizinisch heis-se das Atrophie. «Wir brauchen den Widerstand, die Herausforderung, die Schwierigkeiten und die ‹Lämpe›, damit wir uns entwickeln können.» Wenn man das so sehen könne, gebe es ein bisschen Luft und Raum. Denn nicht jeder Stress sei gefährlich (sie spreche hier nicht vom negativen, wirklich gefährlichen, chronischen Stress, so Pauchard): «Das Gegenteil kann auch schaden. Und das ist die Schonung, der Rückzug, dass sie sich selbst nichts mehr zutrauen.» 

Selbstfürsorge bedeutet nicht Rückzug

So habe sie, als sie als Ärztin in der Jugendpsychiatrie tätig gewesen sei, oft gehört, Selbstfürsorge bedeute doch, dass man gut zu sich selbst schauen solle, sich zurückziehen … «Doch genau das ist Selbstfürsorge nicht!» Sondern? «Selbstfürsorge heisst: Ich nehme mich gut wahr, ich übernehme Verantwortung für mich, ich spüre, wenn meine Grundspannung steigt, wenn es zu viel wird, wenn meine Agenda überquillt – und dann ergreife ich Gegenmassnahmen.» Diese hiessen eben nicht, sich für längere Zeit unters Duvet zu verkriechen. Heute werde suggeriert, dass es immer nur um einen selbst gehe. «Das ist nicht richtig. Ausser, jemand chrampft sich wirklich fast kaputt.» Aber für jemanden, die oder der sowieso eher zum Rückzug neige, sei Schonung Gift. 

Es sei ein heutiges Gesellschaftsproblem geworden. Pauchard nennt drei Geisseln der westlichen Gesellschaft: Sicherheit. Neigung zur Vermeidung. Delegationsneigung. «Dies sind die drei Irrtümer, die nicht geeignet sind, uns zu stärken.» Sicherheit sei zwar ein basales Grundbedürfnis. Doch: «Wer zu viel Angst und Unsicherheit verspürt, wünscht sich noch mehr Sicherheit. Doch das ist kein Löschmittel, sondern ein Brandbeschleuniger. Warum? Weil wir gar nicht mehr wissen, wie wir die Unsicherheit aushalten.» So bräuchten wir die Fehlerkultur, den Mut zur Lücke, damit wir uns balanciert entwickeln könnten. 

Zur Vermeidung: Wer vermeide und sich zurückziehe, bei dem seien erst mal der Druck, die Belastung weg. «Doch so löst sich das Problem nicht. Es wird nicht besser. Die Welt da draus-sen wird immer grösser und bedrohlicher und ich immer schwächer, was zu noch mehr Rückzug führt – ein Teufelskreis.» Pauchard empfiehlt Konfrontation. «Wir müssen den Stier bei den Hörnern packen.» 

Stromsparmodus der Psyche

Zur Delegation: «Immer mehr Menschen unserer Gesellschaft möchten sich unterstützen und tragen lassen und immer weniger möchten tragen. Deshalb müssen wir auch zu den wenigen schauen, die noch tragen können – und Verantworung übernehmen.» Pauchard fasst anhand eines Kreises zusammen: «Die Dinge ausserhalb liegen nicht in meinem Einflussbereich. Innen im Kreis sind jene, die mich betreffen: Meine Schwächen, Fehler.» Hier könne man einiges, aber nicht alles ändern. Wie also mit diesem Spannungsfeld umgehen? «DurchAkzeptanz. Sie ist der Stromsparmodus für unsere Psyche. Sonst leidet sie und geht kaputt. Wenn ich die Dinge nicht ändern kann, ist meine einzige Chance, meine Vorstellungen von der Welt, meine Erwartungen zu ändern.» Ausserdem könne man die Fähigkeit, auszuhalten, erringen. «Ja, man kann sich auch in unseren schwierigen Zeiten wohlfühlen.» Zusammengefasst: mit Dankbarkeit, Genuss, Humor. Denn es gebe kein Leben ohne Schwierigkeiten. «Psychische Gesundheit ist ein Seiltanz, den es auszubalancieren gilt. Es geht nicht darum, elegant auf dem Seil zu schweben. Sondern darum, sich zu bewegen. Und einfach auf dem Seil zu bleiben.» 

Wieviel «Wahnsinn» braucht es, bis …?

Nach dem Referat gab es ein Podiumsgespräch, das der Frage nachging, wie viel «Wahnsinn» es als Katalysator für eine echte positive Veränderung zugunsten der Gesundheit brauche; moderiert von Maria-Theresia Zwyssig mit Esther Pauchard, Nathalie Hauenstein und Anita Luginbühl. 


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