Unzumutbare Prämienbelastung
Fachbeitrag • Die Krankenkassenprämien steigen unaufhörlich, die Belastung der Konsumentinnen und Konsumenten wächst. Viele verzichten deshalb aus finanziellen Gründen auf eine Behandlung. Die Stiftung für Konsumentenschutz zeigt auf, wie diese Situation entstand und was man dagegen tun kann.

Die Krankenkassenprämien steigen unaufhörlich: Für 2026 ist ein durchschnittlicher Anstieg um 4,4 Prozent angekündigt. Diese wiederkehrenden Erhöhungen sind keine einmalige Schwankung, sondern ein dauerhafter Trend, der immer mehr Haushalte an ihre finanziellen Grenzen bringt. Mit jeder Miete, jedem Einkauf und jeder Stromrechnung schrumpft der finanzielle Spielraum. Immer mehr stellt sich die Frage, ob die eigene Gesundheit überhaupt noch bezahlbar ist.
Die Folgen steigender Prämien
Das Gesundheitssystem bereitet vielen Sorgen. Entsprechend sind Prämien, Krankenkassen und Gesundheitsfragen heute das drängendste Thema in der Bevölkerung. Viele Haushalte spüren die steigenden Kosten unmittelbar im Budget. Besonders prekär ist die Lage bei jenen mit mittlerem Einkommen. Sie erhalten in der Regel keine Prämienverbilligung und müssen die steigenden Prämien vollständig aus dem eigenen Portemonnaie stemmen. Diese Entwicklung erhöht das Risiko, dass notwendige Leistungen aus Angst vor hohen Kosten hinausgeschoben werden.
Der Verzicht ist bereits Realität: Ein Fünftel der Bevölkerung gab 2023 an, aus finanziellen Gründen auf einen Arztbesuch verzichtet zu haben. Ein alarmierender Wert für ein wohlhabendes Land wie die Schweiz und im internationalen Vergleich der zweithöchste. Das schwächt nicht nur die individuelle Gesundheit, sondern treibt auch die Kosten des Systems, weil später aufwendigere und teurere Behandlungen nötig werden können. Prämienanstiege sind aber mehr als nur Zahlen. Sie bedeuten, dass Menschen aus Sorge um die Kosten notwendige Behandlungen verzögern oder ganz darauf verzichten.
Reformen mit offenem Ausgang
Es war eine Dauerbaustelle: Nach jahrelangen Verzögerungen wird der veraltete Ärztetarif Tarmed mit Einzelleistungsvergütungen zugunsten von Tardoc mit Pauschaltarifen abgelöst. Diese überfällige Neuerung bietet die Chance, die medizinische Grundversorgung und ambulante Behandlungen nachhaltig zu stärken. Zugleich gilt, dass diese Modernisierung nicht zur zusätzlichen Belastung der Haushalte werden darf. Die Kostenneutralität beim Tarifwechsel ist zwingend, denn die direkte Kostenbeteiligung der Haushalte hat 2023 bereits die Marke von rund 20 Milliarden Franken überschritten. Das sind etwa 22 Prozent der Gesamtausgaben von rund 94 Milliarden. Gemäss den aktuellen Schätzungen dürften die Gesundheitskosten 2024 erneut um rund 3 Prozent gestiegen sein, die definitiven Zahlen vom Bundesamt für Statistik hierzu liegen noch nicht vor.
Doch vor diesem Hintergrund sind verbindliche Regeln und Transparenz wichtig. Daher braucht es laufende Kontrolle aller Tarifanpassungen mit klaren Interventionsmöglichkeiten, damit Mehrkosten sofort korrigiert werden können.
Im November 2024 wurde die EFAS (einheitliche Finanzierung der ambulanten und stationären Leistungen) von der Stimmbevölkerung angenommen. Sie regelt die Kostenteilung zwischen Grundversicherung und Kantonen neu. Ob und wie sehr die Gesundheitsreform die Gesamtkosten zu dämpfen vermag, bleibt offen und hängt von der konkreten Ausgestaltung ab. Der Ansatz der einheitlichen Finanzierung ist grundsätzlich sinnvoll. Trotz jahrelanger Abklärungen und Diskussionen im Parlament bleibt aber weiterhin offen, wie sich die EFAS tatsächlich auf die Kosten im Gesundheitswesen auswirken wird.
Beide Reformen sind potenziell vielversprechend. Ihre Wirkungen auf die Gesamtkosten hängen jedoch wesentlich von der konkreten Ausgestaltung und wirksamen flankierenden Massnahmen ab. Es braucht begleitende Regeln und Durchsetzungsmechanismen.
Fehlender politischer Wille
Die Hebel zur nachhaltigen Kostendämpfung sind bekannt: tiefere Medikamentenpreise und -margen, stringente Kontrolle und Korrektur fehlerhafter Arzt- und Spitalrechnungen sowie die Vermeidung unnötiger Behandlungen. Diese Massnahmen könnten umgesetzt werden, ohne dass Patienten oder Patientinnen und Versicherte Einbussen in ihrer medizinischen Versorgung in Kauf nehmen müssen.
Und doch werden diese Hebel nicht konsequent gezogen. Der Grund liegt weniger in der technischen Umsetzbarkeit als in der politischen Realität: Partikularinteressen von Pharmaindustrie, Ärzteschaft, Spitälern und Versicherungen blockieren strukturelle Korrekturen. Solange politische Entscheide die Interessen der Gesundheitsindustrie höher gewichten als jene der Konsumentinnen und Konsumenten, bleiben notwendige Massnahmen aus, und die Kosten steigen weiter. Profite und Marktinteressen dürfen nicht länger dominieren, wenn es um die Grundversorgung geht. Die Legitimität parlamentarischer Mehrheiten zeigt sich darin, ob sie die Anliegen der Versicherten vor die Interessen mächtiger Akteure stellen.
Was konkret getan werden kann
Kurzfristig und mittelfristig sind mehrere Massnahmen wirksam und umsetzbar:
- Referenzpreissysteme für Generika und patentabgelaufene Präparate: Die Schweiz zählt in Europa zu den Ländern mit den höchsten Medikamentenpreisen, insbesondere bei Generika. Ein wesentlicher Kostenfaktor in der Grundversicherung sind die kassenpflichtigen Medikamente (einschliesslich Spitalmedikamente), die etwa 24 Prozent der Gesamtkosten ausmachen. Die Einführung eines Referenzpreissystems hat laut Studien keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung und könnte der Grundversicherung jährlich Einsparungen im dreistelligen Millionenbereich ermöglichen. Das Referenzpreissystem legt für einen Wirkstoff einen maximalen Preis fest, den sogenannten Referenzpreis. Nur dieser wird von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vergütet. Die Differenz zum Referenzpreis wird von den Versicherten bezahlt. Mit diesem System würden Anreize geschaffen, dass Patientinnen und Patienten bei möglicher Austauschbarkeit eines Medikaments das günstigere wählen.
- Systematische und unabhängige Kontrollen bei Arzt- und Spitalrechnungen: Arzt- und Spitalrechnungen sind für Patientinnen und Patienten schwer nachvollziehbar. Deshalb braucht es Transparenz und eine unabhängige Kontrollinstanz, die Rechnungen nachvollziehbar macht, ihre Plausibilität prüft und systematische Fehler behebt. Verständliche Rechnungen schützen Patientinnen und Patienten und ermöglichen Einsparungen in Milliardenhöhe, ohne Einbussen bei der Versorgungsqualität.
- Vermeidung unnötiger Behandlungen: Das BAG schätzt, dass bis zu 20 Prozent der durchgeführten medizinischen Behandlungen unnötig sind. Diese Überversorgung führt nicht nur zu unnötigen Kosten, sondern gefährdet auch die Gesundheit der Patientinnen und Patienten durch unerwünschte Nebenwirkungen oder Komplikationen. Es passieren zu viele Behandlungsfehler und unnötige Behandlungen. Der Konsumentenschutz ist Mitglied und Gründungsorganisation von «smarter medicine». Diese gemeinnützige Organisation hilft Patientinnen und Patienten sowie der Ärzteschaft, durch Information und Aufklärung fundierte Entscheidungen zu treffen und so unnötige Behandlungen zu vermeiden. So sollen medizinische Massnahmen nur dann zur Anwendung kommen, wenn sie tatsächlich etwas bringen. Denn jeder unnötige Eingriff, der vermieden wird, ist ein Gewinn für die Gesundheit und das Portemonnaie.
- Angepasste und zielgerichtete Prämienverbilligungen: Mit der individuellen Prämienverbilligung sollen die Einheitsprämien der Krankenkassen sozial abgefedert werden. Während in den letzten Jahren die Prämienbelastung für Haushalte in der Schweiz stark angestiegen ist, so ist die Prämienverbilligung aber nicht mitgewachsen. Sie stieg nur minimal oder gar nicht. Die Entlastung muss mit der Belastung mitwachsen und vor allem auch dort ankommen, wo sie am dringendsten benötigt wird: Haushalte mit mittlerem Einkommen, chronisch Kranke und ältere Menschen.
Diese Massnahmen sind kein Allheilmittel, aber gebündelt und konsequent angewendet, verändern sie die Kostenstruktur und dämpfen die Prämienentwicklung.
Was Konsumenten tun können
Trotz struktureller Probleme gibt es praktische Schritte, mit denen sich Betroffene kurzfristig etwas Entlastung verschaffen können:
- Prämien vergleichen: Ein Wechsel der Kasse oder des Versicherungsmodells (z. B. Hausarztmodell, HMO, Telmed) kann oft mehrere Hundert Franken pro Jahr einsparen.
- Franchise überdenken: Wer mit jährlichen Gesundheitskosten von weniger als 1900 Franken rechnet, sollte die höchste Franchise von 2500 Franken wählen; wer Gesundheitskosten über 1900 Franken erwartet, die tiefste Franchise von 300 Franken. Die Zwischenstufen sind grundsätzlich nicht sinnvoll und rechnen sich kaum.
- Modellwahl prüfen: In der Grundversicherung gibt es verschiedene Modelle; ein Wechsel kann bis zu 25 Prozent Einsparungen bringen, bei identischem Leistungsumfang. Wichtig: Die Bedingungen unterscheiden sich je nach Modell. Wer wechselt, sollte die allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) genau prüfen.
- Rechnungen kontrollieren: Unklare Positionen hinterfragen und Beratungsstellen (z. B. Patientenstelle, Konsumentenschutz) kontaktieren.
- Vorsicht bei Vergleichsportalen: Nicht alle Krankenkassen- und Prämien-Vergleichsportale sind unabhängig. Achten Sie auf Transparenz über Provisionen und Angebotsdarstellung; bevorzugen Sie unabhängige und datensparsame Tools.
- Anspruch auf Prämienverbilligung prüfen: Da die Prämienverbilligung von den Kantonen ausbezahlt wird, ist die Handhabung sehr unterschiedlich. In einigen Kantonen werden Sie automatisch informiert, wenn Sie einen Anspruch haben, in anderen müssen Sie einen Antrag stellen, damit ein solcher geprüft wird.
Der Konsumentenschutz bietet einen unabhängigen, datensparsamen Prämienvergleich an. Er zeigt alle Angebote, erstellt Schreiben für An- und Abmeldungen und arbeitet ohne versteckte Kosten oder Provisionen.
Haushalte müssen entlastet werden
Die Prämienentwicklung ist kein unabwendbares Naturgesetz. Viele der treibenden Faktoren sind politisch gestaltbar. Die aktuelle Intransparenz und die Lobbyinteressen von Pharmaindustrie, Leistungserbringern und Versicherern verhindern oft sinnvolle Reformen. Deshalb setzt sich der Konsumentenschutz für Transparenz, unabhängige Kontrollen und faire Kosten im Sinne der Versicherten ein. Gemeinsam können wir dazu beitragen, das Gesundheitssystem effizienter, transparenter und gesünder zu gestalten.