Mietzinssenkend oder unnötige Bürokratie?
Abstimmung • An diesem Wochenende wird über die Miet-Initiative abgestimmt. Diese verlangt, dass die Vormieten offengelegt werden, damit eine Mietzinsreduktion eingefordert werden kann. Unnötige Bürokratie, finden die Gegner.

Gemäss dem Mieterverband steigen die Mieten im Kanton Bern unaufhaltsam. In den letzten 20 Jahren seien sie um rund 30 Prozent gestiegen, obwohl sie mit dem geltenden Mietrecht hätten sinken müssen. Auf der Beratungsstelle des Mieterinnen- und Mieterverbandes Kanton Bern würden täglich Menschen landen, die sich ihre Wohnung kaum mehr leisten könnten und nicht wüssten, wie sie sich gegen überh.hte Mietzinse wehren könnten. Deshalb hat der Mieterinnen- und Mieterverband (MV) Kanton Bern zusammen mit einer breiten Allianz die kantonale Miet- Initiative eingereicht. Sie verlangt die Einführung von transparenten Vormieten im Kanton Bern. Die Allianz besteht aus der SP, den Grünen, EVP, Casafair, den Wohnbaugenossenschaften Bern- Solothurn, dem VPOD Bern und dem Gewerkschaftsbund Bern. «Die Miet-Initiative gibt Mietenden und fairen Vermietenden ein einfaches, aber wirksames Instrument in die Hand. Nur mit Transparenz kann das geltende Mietrecht überhaupt greifen», sagt Sabina Meier, Geschäftsleiterin des MV Kanton Bern. Das sei ein wichtiger Schritt für die Mieterinnen und Mieter im Kanton Bern, wie Cyprien Louis, Co-Präsident der Grünen Kanton Bern, erklärt: «Theoretisch kann jede Mieterin, jeder Mieter einen überh.hten Anfangsmietzins anfechten. In der Praxis ist dieses Recht jedoch oft unbrauchbar, weil die Mietenden nicht wissen, was ihre Vorgängerinnen oder Vorgänger bezahlt haben. Sie können nicht beurteilen, ob die Erhöhung gerechtfertigt oder missbräuchlich ist.»
Leerwohnungen im Sinkflug
Die Miet-Initiative soll dies nun ändern. Die Hausbesitzer beziehungsweise Vermietenden müssten bei einer Annahme offenlegen, wie hoch die Miete für die Personen waren, die zuvor in der Wohnung oder Immobilie gelebt haben. Dies, wenn ein Wohnungsmangel besteht, wozu im Obligationenrecht eine «Kann-Formulierung» zu einer Verpflichtung wird. Bisher «können» die Kantone bei einem Wohnungsmangel verlangen, dass bei einem Mieterwechsel ein entsprechendes Formular ausgefüllt wird, das die Vormiete offenlegt. Der Initiativtext verlangt nun, dass im Fall eines Wohnungsmangels der Regierungsrat für den Abschluss von Mietverträgen im gesamten Kantonsgebiet oder in einzelnen Verwaltungskreisen die Verwendung des entsprechenden Formulars für obligatorisch erklärt. Ein Wohnungsmangel – wie der Initiativtext weiter verlangt – liegt vor, wenn der Leerwohnungsbestand im Kanton oder in einzelnen Verwaltungskreisen bei höchstens 1,5 Prozent liegt. Liegt der Leerwohnungsbestand über dieser Zahl, so hebt der Regierungsrat die Transparenzpflicht wieder auf. Gerade veröffentlichte das Bundesamt für Statistik die neusten Erhebungen über den Lehrwohnungsbestand in der Schweiz. Demnach weist der Kanton Bern einen Leerwohnungsbestand von 1,12 Prozent auf. Gegenüber dem Vorjahr ist diese Leerwohnungsziffer um rund einen Zehntel gesunken. Betrachtet man die letzten fünf Jahre, so befindet sich die Anzahl leer stehender Wohnungen im stetigen Sinkflug.
Gegner ebenfalls breit abgestützt
Ein ebenso breit abgestütztes Komitee – bestehend aus allen Berner Wirtschaftsverbänden, dem Berner Bauernverband, dem SVIT Kanton Bern sowie SVP, FDP, EDU, Die Mitte und einzelnen GLP-Vertretenden – engagiert sich für ein Nein gegen die in ihrer Lesart «unwirksame Miet-Formular-Initiative ». Der Regierungsrat und der Grosse Rat stellen sich ebenfalls gegen die Initiative. «Als Mieterin wünsche ich mir wirksame Lösungen für den Wohnraummangel, aber Formulare schaffen keine bezahlbaren Wohnungen. Sie generieren lediglich mehr Aufwand», sagt etwa Milena Daphinoff, Grossrätin Die Mitte. Zudem würden die administrativen Mehrkosten einmal mehr von den Mieterinnen und Mietern bezahlt werden müssen. Aus diesem Grund setzt sich auch GLP-Grossrätin Tamara Jost- Morandi für ein Nein am 28. September ein: «Das Formular baut keine Wohnungen und senkt keine Mieten. Was wir brauchen, sind einfachere Bauvorschriften, nicht noch mehr Bürokratie.» Und für die SVP-Nationalrätin Katja Riem aus Kirchdorf ist klar: «Steigende Mietzinse und Wohnungsmangel sind ein reales Problem. Der Hauptgrund ist aber die zu knappe Wohnbautätigkeit bei ständig zunehmender Bevölkerung und stetig wachsender Beh.rdenbürokratie.» Die «unwirksame Initiative» täusche den Mieterinnen und Mietern vor, man habe mit einem Formular ein taugliches Rezept gegen die Wohnungsknappheit und gegen steigende Mietzinse. «Das ist absurd.»
Grosser Leidensdruck
Derweil schlagen die Befürworter der Initiative weiterhin Alarm. Der Leidensdruck sei gross. «Viele Arbeitnehmende, Familien, Alleinstehende, Pensionierte und Menschen in Ausbildungen können die hohen Mieten kaum noch bezahlen. Für sie ist ein Ja zu der Initiative besonders wichtig», sagt Manuela Kocher Hirt, Präsidentin der SP Kanton Bern. Deshalb brauche es im Kanton Bern endlich konkrete Massnahmen zum Erhalt von bezahlbarem Wohnraum. «Das Instrument der transparenten Vormiete wirkt preisdämpfend. Dies zeigt ein Vergleich mit den Kantonen, die transparente Vormieten bereits eingeführt haben. Aktuell sind es neun Kantone. Es ist eine faire Lösung, ohne grossen Mehraufwand », ist Barbara Stotzer-Wyss, Grossrätin und Präsidentin der EVP Kanton Bern, überzeugt.