Berufung mit Geschmack
Trimstein • Céline Grossmann hat soeben ihre Lehre beendet und gewann die diesjährige Schweizermeisterschaft für Kochlernende. Zurzeit macht sie sich selbstständig und bereitet sich als Teammitglied der Juniorennationalmannschaft auf die Weltmeisterschaft vor. Sie verfolgt ihre Ziele mit Herz und Verstand.

Céline Grossmann ist auf dem Sprung. Soeben hatte sie ein paar Tage Ferien in Italien und fliegt schon bald nach London, wo sie bei Anton Mosimann während einer Woche ein Praktikum absolvieren wird. Anton Mosimann ist ein ganz Grosser in der Szene, er kochte für das britische Königshaus und wurde für sein Können mehrfach ausgezeichnet.
Doch der Nachwuchs schläft nicht. Dies beweist die 19-jährige Céline Grossmann aus Trimstein. Sie hat soeben ihre Kochlehre in der Stiftung für Betagte in Münsingen abgeschlossen und gewann dieses Jahr die Schweizermeisterschaft für Kochlernende «Gusto 25», organisiert von Transgourmet/Prodega. Sie setzte sich dabei gegen insgesamt 110 Mitbewerbende durch. Gleichzeitig räumte sie den «Community-Preis» ab. Mit diesem gewann sie eine dreitägige Stage im «Boutique Hotel Glacier» in Grindelwald bei Paul
Cabayé und mit dem ersten Platz bei der Meisterschaft einen zweiwöchigen Aufenthalt in Singapur bei Julien Royer im Restaurant «Odette».
Für die Lehre in einer sozialen Einrichtung hat sie sich entschieden, weil man kaum sonst wo als Koch so regelmässige und normale Arbeitszeiten hat. Dies liess ihr den Raum für die Wettbewerbe. Bereits 2023 wurde sie Erste beim «Creative Tartelettes Contest» des Lebensmittelproduzenten «Hug». Nächstes Jahr steht sogar die Weltmeisterschaft an. Céline Grossmann ist eines von acht Mitgliedern der Schweizer Juniorenkochmannschaft des Schweizer Kochverbandes, die ausschliesslich aus Frauen besteht.
In die Wiege gelegt
«Das ist der beste Beruf, den es gibt», sagt Céline Grossmann begeistert. Denn für sie es ist mehr als ein blosser Beruf, sondern eine Berufung, eine Passion. Sie möge, dass sie dadurch den Leuten eine Freude und ein besonderes Erlebnis bereiten könne. Nicht zuletzt deswegen, weil Essen ein konstanter Begleiter unseres Lebens ist – vom Frühstück über das Mittagessen bis zum Abendessen. Wir alle brauchen Nahrung, um zu überleben, doch wenn man das Kochen so lebt wie Céline Grossmann, sind dabei der Fantasie und Kreativität keine Grenzen gesetzt. Dennoch war nicht immer alles ganz einfach auf ihrem bisherigen Weg. So sei sie als junge Frau teilweise auch unterschätzt worden. Doch sie hat gelernt sich durchzusetzen, zu ihren Überzeugungen zu stehen und ihre Pläne zielgerichtet zu verfolgen. Was ihr dabei geholfen habe, sei, dass sie gut mit Menschen umgehen und verständlich kommunizieren könne. Céline Grossmann tritt denn auch sehr gefestigt und irgendwie «geerdet» auf. Sie spricht überlegt, wählt ihre Worte mit Bedacht. In Sachen Gleichstellung habe sich in den Küchen viel zum Guten gewandelt, was sich auch darin zeige, dass die Juniorennationalmannschaft nur aus Frauen bestehe. Auch der Umgangston in den Küchen sei weniger rau als auch schon, wenn es ein Problem gebe, setze man sich zusammen und suche eine Lösung.
Das Kochen wurde ihr durch ihren Vater quasi in die Wiege gelegt. «Mein Vater ist ein begeisterter Hobbykoch und hat immer dafür gesorgt, dass wir sehr gut essen. Ich hatte eine schöne Kindheit», erinnert sich Céline Grossmann gerne zurück. So sei sie am Samstag immer mit ihrem Vater einkaufen gegangen und habe selbst Produkte auswählen können, die sie später gemeinsam in der Küche verarbeiteten. Zudem seien sie zu Hause mit viel Küchenequipment ausgestattet, wodurch sie vieles ausprobieren konnte. Sie wurde also schon früh vom «Kochvirus» angesteckt. Zuerst sei sie etwas unsicher gewesen, ob sie wirklich diesen Beruf erlernen wollte, weil sie Angst davor hatte, dass die Freude, das Feuer dafür verloren gehen könnte und es zu einem normalen Job werde. «Doch es wurde mir schnell klar, dass es nichts gibt, wofür ich einen grösseren Eifer habe», erklärt Céline Grossmann.
Breit gefächerte Basis
Nach der obligatorischen Schulzeit machte sie zuerst ein Zwischenjahr, das – man errät es – ebenfalls mit Kochen zu tun hatte. Doch dies am Anfang der Wertschöpfungskette, nämlich dort, wo die Produkte entstehen. «Ich habe das ganze Zwischenjahr mit Praktika gefüllt», erzählt sie. Zuerst war sie bei einer Bauernfamilie, half auf dem Hof, schaute zu den Kindern und lernte beispielsweise das Melken. Danach war sie drei Monate in einer Käserei. Das sei als 15-Jährige direkt nach der Schule nicht ganz ohne gewesen, weil körperlich anstrengend. Sie musste jeden Tag um vier Uhr aufstehen. «Doch ich habe eine sehr unterstützende Familie, meine Eltern haben mich damals jeden Morgen um vier Uhr zur Arbeit gefahren.» Nach der Käserei konnte sie während einiger Zeit die Fleischproduktion und -verarbeitung bei Jumi in Boll kennenlernen und durfte dort im Bereich Catering auch bei Events mitkochen. Ihr Weg führte sie weiter zu Rolf Mürner, dem Schweizer «Patisseriepapst», der sich damals noch in Rüeggisberg befand und bei dem sie einen Monat bleiben konnte. «Dort habe ich auch zum ersten Mal allein gelebt», berichtet Céline Grossmann. «Das war eine coole Erfahrung!» So habe sie für sich dort jeden Abend nach der Arbeit noch ein komplettes Menu gekocht. «Denn ich will schliesslich ja nicht nur gut kochen, sondern auch gut essen», schmunzelt sie. Nach dem Essen musste sie dann jeweils noch eine Stunde lang abwaschen, da es keinen Geschirrspüler gab. Es folgte ein viermonatiger Aufenthalt bei Stefan Wiesner in Escholzmatt, auch bekannt als der «Hexer vom Entlebuch». Er gilt als «Gastrosoph» und steht für experimentelle Küche mit Naturprodukten, die man vor der Haustüre findet. Sie lernte dort beispielsweise, mit pulverisierten Steinen zu kochen, ging Wildkräuter sammeln oder lernte das Wursten. «Die Bandbreite dort war riesig, es hörte fast nicht mehr auf», berichtet Céline Grossmann begeistert von dieser Zeit. «Ich hatte während dieses ganzen Zwischenjahrs genau eine Woche Ferien.» Während Gleichaltrige am Wochenende Party machten, war Céline Grossmann am Arbeiten. «Man muss halt auch Opfer bringen, wenn man sich ehrgeizige Ziele setzt», ist sie sich im Klaren. «Ich würde das jederzeit wieder so machen.» Das Zwischenjahr habe ihr sehr viel mitgegeben, worauf sie später aufbauen konnte.
Der Weg ist das Ziel
Direkt nach der Lehre im Altersheim, die ihr gerade im sozialen Bereich ebenfalls viel mitgegeben hat und wo sie einen guten Berufsbildner hatte, der sie förderte, ist Céline Grossman nun daran, sich selbstständig zu machen. «Ich möchte aus meiner Komfortzone hinaus», blickt Céline Grossmann mit Zuversicht in die Zukunft. Die Vorbereitungen auf die Weltmeisterschaft dauern nun bereits seit rund einem halben Jahr, erfordern viel Zeit und Engagement. Denn eines ist klar: «Wir wollen Weltmeister werden!» Gleichzeitig möchte sie mit ihrer Selbstständigkeit nebst Wettbewerben auch offen sein für spontane Einsätze in Küchen, die sie interessieren. Auf ihrer neuen Website, die kürzlich online ging, bietet sie zudem «Catering» und «Privat Dining» an. Sie möchte damit Private, aber auch Firmen ansprechen. Dabei will sie «bewusst im kleinen Rahmen arbeiten für Menschen, die das Besondere schätzen».
Und woher das Interesse am Kompetitiven? «Der Weg ist das Ziel», sagt Céline Grossmann. Natürlich wolle sie gewinnen, doch auf dem Weg dahin würde sie so viel lernen wie kaum anderswo. So seien die Dinge, die man während dieser Vorbereitungen lerne, fast mehr wert als der letztendliche Sieg. Und: Es geht auch um das richtige Mindset, das man für einen solchen Wettbewerb erreichen muss. «Ich möchte unter keinen Umständen stehen bleiben und mich stetig weiterentwickeln», sagt sie. Leider seien die Kochweltmeisterschaften, die alle vier Jahre stattfinden, noch viel zu wenig bekannt. Denn das sei eine grosse Sache bei der, ähnlich wie im Spitzensport, viele namhafte Firmensponsoren dahinterständen, obwohl es für die Teilnehmenden vor allem um «Ruhm und Ehre» gehe. Céline Grossmann hofft, dass diese Disziplin in Zukunft vermehrt von den Medien aufgegriffen wird. Bereits 2022 hat die Schweiz bei den Weltmeisterschaften brilliert, sieben Mannschaften traten an, vier davon haben eine Goldmedaille abgeräumt. «Doch kaum jemand wusste davon», bedauert Céline Grossmann.
Geschmackserlebnis
Beim Kochen geht es ihr vor allem um den Geschmack, aber auch um die Ästhetik. Beim Geschmack ist ihr eine gewisse «Tiefe» wichtig. Ein Gericht soll verschiedene Grundgeschmäcker wie Schärfe, Süsse, Bitterkeit oder Säure enthalten. Für ihr Siegermenü bei der Schweizermeisterschaft kombinierte sie asiatische Einflüsse mit lokalen Zutaten wie beispielsweis der Belper Knolle. Der Hauptgang wurde begleitet von einem Mezcal-Cocktail. Mezcal ist eine mexikanische Spirituose, die aus der Agave gewonnen wird. Sie gewann den Wettbewerb also mit einer Art Crossover-Küche, die sich Zutaten unterschiedlicher Herkunft bedient und diese zu einem neuen Geschmackserlebnis kombiniert.
Gleichzeitig ist ihr auch die Nachhaltigkeit wichtig. So isst sie privat viel lokales und saisonales Gemüse und wenig Fleisch. Ein Ernährungsstil, der in ihren Augen in der heutigen Zeit angesagt ist. Ihre Familie ist Mitglied beim Verein Solidarische Landwirtschaft «Setzhouz» in Münsingen. Die Mitglieder erhalten ihren Anteil an der wöchentlichen Ernte in Form einer mit Gemüse gefüllten Tasche, beteiligen sich im Gegenzug mit einem Investitionsbeitrag sowie einem Beitrag für die erhaltenen Ernteanteile an den Produktionskosten. Das sei manchmal auch eine «Challenge». Zum Beispiel wenn man saisonbedingt eine grössere Menge eines Produktes oder einen bestimmten Produktemix habe, den es rasch zu verarbeiten oder zu konservieren gelte. Dabei erhält sie auch einen Bezug zu den Produkten, der ihr sehr wichtig ist. Von billigen Importprodukten hält sie nicht viel, denn die Schweiz biete selbst viele wertvolle Ressourcen, von denen die Konsumentinnen und Konsumenten noch viel mehr profitieren könnten als bis anhin.
Für die Nationalmannschaft hat Céline Grossmann einen Vierjahresvertrag, der 2028 ausläuft. Danach möchte sie reisen gehen, neue Kulturen, andere Lebensweisen, Klimata und Kulturen kennenlernen. Es ist anzunehmen, dass das Reisen auch unter dem Blickwinkel des Kochens stehen
wird. Gespannt darf man erwarten, welche kulinarischen Überraschungen sie in ihrem Reisegepäck mit zurückbringen wird.