«Zivildienst schafft Respekt für andere Berufe»
Rubigen/Muri • Seit fünf Wochen arbeitet der angehende Student Lukas Malsch als «Zivi» für die Stiftung Landschaft und Kies, Rubigen. Zivildienst dauert eineinhalbmal so lange wie Militärdienst. «Warum der Zivildienst überhaupt eine Strafe sein soll, weiss ich nicht», so Malsch. «Jede Firma ist froh um Zivis.»

Es ist ein strahlender Tag. Nicht mehr so heiss wie Wochen zuvor, aber endlich wieder flauschig warm. Lukas Malsch sitzt auf einer Bank im «Naturteil» der Alluvia Kies&Beton AG in Oberwangen, um dort der Redakteurin des «Berner Landboten» Rede und Antwort zu stehen. Der 20-Jährige aus Muri ist Zivildienstleistender. Zurzeit bei der Stiftung Landschaft und Kies in Rubigen. In der vierten Woche nun macht er Neophyten den Garaus. «Vor allem den invasiven, jenen, die auf der Liste stehen, weil sie die einheimischen Pflanzen vertreiben», sagt der angehende Student.
Medizin wolle er gern studieren, sobald er das Zwischenjahr beendet habe, so Malsch. Vorausgesetzt, er bestehe den Numerus Clausus. Ist seine Gesinnung der Grund, dass er sich für Zivil- und nicht für den Militärdienst entschied? «Ja», so Malsch. «Schliesslich ist das ‹Mit-sich-nicht-vereinbaren-Können, eine Waffe zu tragen›, der einzige Grund, dass jemand zum Zivildienst zugelassen wird. Weil man es eben nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann. Auch bei mir ist das so.» Zudem: «Zivildienst macht Sinn. Meine Arbeit macht Sinn. Es fühlt sich gut an, für die Umwelt etwas Gutes zu tun.» Im Absolvieren des Militärdienstes sehe er wenig Sinn. «Okay, ja, die Landesverteidigung ist bestimmt ein Argument.» Er gehe nicht davon aus, dass die Schweiz bald angegriffen werde. Klar, es sei sicher wichtig, dass ein möglicher Angreifer abgeschreckt würde. Doch Waffen tragen und benutzen sollten jene, die dies auch wollten und verantworten könnten. «Ein bisschen Kampfgeist ist bestimmt nicht schlecht.» Doch Kriegsführung sei nicht zu vergleichen mit dem notfallmässigen Beschützen der Freundin oder des kleinen Bruders, wie es der ehemalige Gewissenstest suggeriert habe. Er dementiert den Volksmund, das Militär mache aus einem Jungen erst einen Mann: «Zum Erwachsen- und Reifwerden braucht es keinen Militärdienst, da sehe ich im Zivildienst mehr Potenzial.»
Wichtiger Beitrag zum Naturschutz
Lukas Malsch ist sportlich. Er investiert einen Teil seiner Freizeit ins Ringen. «Ich ergänze damit mein Fitnessprogramm.» Ansonsten sei ihm das Sozialleben wichtig. «Ich verbringe viel Zeit mit Freundin, Familie, Kollegen.» Würde er sich, wäre er weniger sportlich, die Tätigkeit in der Kiesgrube auch zutrauen? «Körperlich ist diese Arbeit schon anstrengend und für einen ehemaligen Gymnasiasten auch gewöhnungsbedürftig», lacht er. «Wir jäten an Hängen. Acht Stunden am Tag sind wir auf den Beinen. Tragen schwere Säcke. Müssen uns zum Jäten fast immer bücken.» Mit «wir» meint er einen anderen Zivi und sich selbst. Manchmal müsse er Wurzeln dicker Gewächse kaputtschlagen. «Das braucht schon Kraft.» So sei das Heuen, das ab und zu dazukäme, eine gute Abwechslung.
Lukas Malsch ist sehr interessiert an der Sache, die er ausführt. «Ja, man lernt viel», sagt er. Es mache ja auch Sinn, sich mit dem auseinanderzusetzen, was man tue. Viele der (fremden) Pflanzen kennt er bereits auswendig. «Kiesgruben, die beim Berner Kies- und Betonverband Mitglied sind, müssen über alle Standorte 15 Prozent ihrer Fläche für den Naturschutz zur Verfügung stellen. Dies ist nur einer der Punkte der Vereinbarung zwischen dem Verband und der kantonalen Naturschutzbehörde (ANF)», erklärt er. Die Nachbarn der Kiesgruben seien meistens Bauernbetriebe. «Finden sich auf dem landwirtschaftlich genutzten Land Neophyten, kann es für die Bäuerinnen und Bauern Kürzungen der Direktzahlungen geben.» Neophyten finden in Kiesgruben oftmals besonders gute Wuchsbedingungen. Aber auch in Gärten, entlang Infrastrukturen, Strassen und im Wald gedeihen diese unerwünschten Problempflanzen gut. Teilweise können Samen dieser Pflanzen durch Wind ins Umland gelangen. Dass die Landwirte sich darüber beschwerten, verstehe er. «Deshalb engagiert die Stiftung Landschaft und Kies eben Zivis, die die Neophyten, die einheimische Pflanzen verdrängen, ausreissen.» Um den Boden wieder mager und nahrhaft zu machen, werde gemäht und darauf geachtet, dass die Nährwerte zurück in den Boden kämen. «Auch das ist anstrengend, aber ich mag die Abwechslung. Sie ist nice.» Deshalb das obenerwähnte Heuen.
Das Team sei sehr nett. «Ich wurde sofort akzeptiert.» Die Arbeitskollegen wüssten ja selbst, wie körperlich anstrengend die Arbeit sei, gerade, wenn die Sonne vom Himmel brenne, wenn man sich gegen Dornen, Zecken, Brennnesseln wehren müsse oder wenn Gewitter drohten. «Auch die Vorgesetzten sind sehr verständnisvoll.»
Sei jemand körperlich schwach, könne er sich schon vorstellen, dass die Firma oder der Zivi den Einsatz abbrechen würden. «Es gibt viele Firmen, die anbieten, dass Zivis reinschnuppern können. Denn wenn sie den Einsatz wieder abbrechen, ist keiner Seite geholfen.» Manchmal sei es auch möglich, den Einsatz um ein paar Wochen zu verlängern.
Zivildienst als Bereicherung
Lukas Malsch ist insgesamt fünf Wochen für die Stiftung Landschaft und Kies in Rubigen tätig. Danach zieht er weiter. Nach dem Einsatz in der Kiesgrube wird er in einer Apotheke tätig sein, die für das Inselspital Bern Medikamente aufbereitet. Und wiederum danach wird er als Klassenhilfe Lehrpersonen im Unterricht unterstützen. «Dies wird der längste Einsatz werden. Darauf freue ich mich schon sehr.» Diese Einsatzplätze seien unter den Zivis sehr begehrt. Deshalb müsse mit Absagen gerechnet werden. Denn die Stellen gebe der Bund (Amt für Zivildienst) vor. «Mit Kindern zu arbeiten ist natürlich sehr attraktiv.»
Wer Zivildienst leiste und so in verschiedene Bereiche hineinsehen könne, wisse danach mit Bestimmtheit, was er beruflich wolle oder eben nicht wolle. «Die Stellen sind wie ein Praktikum. Sie geben wunderbare Einblicke in die Berufswelt.» Hinzu komme, dass man danach nicht, wie manche Akademiker, vom «hohen Ross» aus auf die Tätigkeit von Menschen in nicht akademischen Berufen blicke. «Wer mal körperlich gearbeitet hat, weiss, wie es sich anfühlt auf dem Bau, in der Pflege oder eben in der Natur. Zivildienst schafft Respekt für Menschen in anderen Berufen.»
Zudem verändere Zivildienst auch das «Mindset»: «Man kann sich danach sagen: So, das habe ich durchgestanden, dann werde ich später im Leben auch dies und das durchstehen.» Das Selbstvertrauen wachse. «Dafür braucht es keinen Militärdienst», wo nicht selten auch das Gegenteil erreicht werde.
Wer bereits eine Lehre absolviert habe, erhalte 80 Prozent seines sonstigen Gehalts und die Spesen. Bei Studenten sei es ein festgelegtes Grundgehalt (siehe Seiten 2/3). Malsch selbst erhielt noch keinen Lohn, da er den ersten Monat als Zivi erst abschliesst. «Für mich als ehemaligen Gymnasiasten ist der Lohn hier aber schon attraktiv.»
Wichtige Zivi-Option
Er kenne fast niemanden, der freiwillig und gern ins Militär möchte. Deshalb befürworte er das System, wie es heute sei: «Druck bringt nichts. Die, die wollen, sollen gehen und dort Karriere machen. Jene, die an der Sache zweifeln, sollen die Möglichkeit haben, Zivildienst zu leisten. Junge Menschen sollen die Wahl haben, ob sie Waffen tragen wollen oder nicht.» Und, sinniert er: «Die Schweiz will doch Frieden, warum sollen denn alle Männer ins Militär?!»
Seine Familie habe ihn in seiner Entscheidung unterstützt. «Früher zog man in Deutschland jeden dritten Sohn nicht ein. Damit die Familie nicht alle Söhne verliert, wenn die Brüder im Krieg fallen.» Das habe ihm sein Vater erzählt, der einst aus Deutschland in die Schweiz einwanderte. Er habe auch schon gehört, dass der Militärdienst für manche eine gute Erfahrung gewesen sei. Doch Kollegialität lerne man auch ausserhalb des Militärs. Denn: «Männergruppen sind auch Nährboden für Rassismus und Ausgrenzung und Unterdrückung von Minderheiten.»
Kein sozialer Druck
Obwohl Lukas Malsch an der Aushebung bei allen Prüfungen mit «sehr gut» abschnitt, «wollte mich niemand überreden, Militärdienst zu leisten», betont er. «Ich wurde zu nichts gedrängt. Meine Entscheidung wurde sofort akzeptiert.» Auch sei ihm niemand harsch vorbeigekommen oder habe in unangenehmem Ton mit ihm gesprochen. «Niemand hat mir Druck gemacht.» Das sei eine sehr positive und wichtige Erfahrung gewesen. Denn so verurteile man auch den Militärdienst nicht.
Kann es daran liegen, dass Lukas Malsch freundlich und selbstsicher auftritt? Dass er von Beginn an ausstrahlt, was er will oder eben nicht? «Das kann schon sein. Es würde mich interessieren, ob dies so ist oder nicht.» Vorstellen könne er sich schon, dass mental Schwächere vielleicht persönlich anders eingeschätzt würden. An der Aushebung seien ja auch Psychiater anwesend. «Wer eine Vergangenheit hat, hat die Möglichkeit, mit jemandem von ihnen zu sprechen.» Da dies bei ihm nicht der Fall gewesen sei, habe er sein Kreuzchen auf dem Blatt an der Stelle gemacht, an der er heute zu finden sei.
Nach der «Aushebung» habe er am Informationstag für Zivildienstleistende teilgenommen und in der Folge das Gesuch abgeschickt. Man könne das Gesuch wieder zurückziehen, wenn man es sich nochmals anders überlege. «Falls nicht, bist Du danach offiziell Zivildienstleistender.» Was ihm auffiel: Am Infotag sei der Zivildienst als unattraktiver als der Militärdienst dargestellt worden. «Warum der Zivildienst als eine Art Strafe angesehen wird und warum er deshalb eineinhalbmal so lange dauert wie der Militärdienst, verstehe ich nicht», so Lukas Malsch. «Jede Firma, jedes Spital, die Bildung, sind doch froh um Zivis.»
Die Sonne hat unterdessen an Kraft gewonnen. Lukas Malsch begleitet die Journalistin zum Tor. Auf dessen anderer Seite steht eine grüne Kawasaki, 600, mit einem «L». Ist es sein Moped? «Ja. Am Montag ist der praktische Prüfungstermin.»