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«Schaut die Bäume an!»

Klimaanlage Baum | Wir wissen es: Bäume produzieren Sauerstoff, binden Kohlendioxid und Feinstaub. Ohne sie funktioniert nichts in unserem System. Und: Ein alter Baum wiegt 400 junge auf!

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Fabian Dietrich weiss fast alles über Bäume. Bild: zvg

 Fabian Dietrich: «Gerade im Wohn- und Siedlungsraum ist es enorm wichtig, alte Bäume zu erhalten: Im Wald erfüllen Bäume andere Funktionen. Doch gerade auch im Wohn- und Siedlungsraum ist der Druck auf die Bäume um ein Vielfaches grösser.» Doch wir bräuchten die Bäume: «Sie spenden Schatten und verbessern das Klima. Ihr Lebensraum ist wichtig, für Ökologie und Biodiversität. Für unzählige Lebewesen, Organismen. Unzählige Vogelarten sind auf Altbäume angewiesen. Insbesondere die hohlen!» Zudem lebten Insekten und Käfer – zum Beispiel der vom Aussterben bedrohte Juchtenkäfer – im Mull der Bäume. «Das ist die Zwischenstufe zwischen Holz und Humus. Das ist das, was im Baum innen passiert.» Organismen wie Flechten, Moose und andere, die mit dem Baum lebten, seien wichtig, aber leider kaum einmal ein Argument wert. Dietrich: «Wir retten das Klima nur, wenn wir Bäume erhalten – und mit ihm alle Organismen.» Seine wichtigste Botschaft: «Es braucht 400 Jungbäume, um die Umweltleistung eines einzigen alten Baumes zu kompensieren», wie eine deutsche Studie von 2023 zeige. Deshalb gelte das Scheinargument nicht: «Wir fällen einen Baum, aber wir pflanzen einen neuen.» «Wir vergessen den Zeitwert von mindestens 80 bis 100 Jahren. Die Umweltleistung eines ausgewachsenen Baums von 25 Metern Höhe ist niemals mit einem Jungbaum auszugleichen. Um diese zu kompensieren, müsste man eben viermal hundert Jungbäume pflanzen. Und zwar am selben Ort. Ein alter Baum ist mit keinem Geld der Welt zu ersetzen.» 

Argument gegen Scheinargument

Ausserdem stabilisierten Bäume Hänge, schützten vor Erdrutsch, gerade bei viel Regen, seien direkte Nahrungslieferanten. Zudem beruhigten sie, seien Inbegriff von Kraftorten. «Ja, es gibt oft Widerstand, wenn ein Baum gefällt wird, aber es braucht eben auch Argumente – und das Wissen, dass das Schlagwort ‹gefährlich› ein Scheinargument ist!» 

Anhand des Beispiels einer Winterlinde in Unterseen, zeigt der Baumpflegespezialist, wie man Angst in Sicherheit umwandeln konnte – in Zusammenarbeit mit dem Baum. Dieser wuchs in einer Mauer, die der Aare entlangführt. Aus sogenannten Sicherheitsgründen hätte er gefällt werden sollen, der Uferschutzverband erhob aber Einsprache und Fabian Dietrich durfte ein Gutachten erstellen: «Die Linde stabilisiert den ganzen Hochwasserschutzbereich.» So habe er mit dem Wasserbau-Ingenieur des Kantons Bern die Mauer und den Baum in­spiziert. Dietrich erklärte, dass, wenn der Baum mit seinem Wurzelwerk bliebe, es keine baulichen Massnahmen zum Schutz der Mauer brauche. «Das Einzige, was man tun muss, ist die Linde pflegen.» Klar, der Baum trug gefährliches Totholz auf sich. Doch dieses liess sich einfach entfernen. Hätte es keine einspracheberechtigte Organisation gegeben und keine Besprechung mit dem richtigen Amt, so wäre der Baum heute nicht mehr da – was hohe Kosten verursacht hätte. Denn dann hätte man die Mauer anders stabilisieren müssen.» Was ihn befremdet: Dass vor ihm bereits zwei sogenannte Gutachter vor Ort gewesen seien, die für eine Fällung plädiert hätten … 

Eine Frage der Verantwortung

Wer darf sich alles Gutachter nennen? Dietrich überlegt. Es sei kein geschützter Begriff. «Die Frage ist doch immer, wer die Verantwortung übernimmt. Auch im Sinne einer Haftung. Und das sind dann meistens wir als Firma. Wir haben mittlerweile in der Schweiz viele Bäume, für die wir die Verantwortung tragen. (lacht) Bisher mit Erfolg – und den richtigen Pflegemassnahmen.» 

Sauerstoff für elf Menschen

Ein grosser Baum liefere pro Tag für ungefähr elf Menschen Sauerstoff. «Diese werden zu 100 Prozent mit Sauerstoff versorgt. Wir haben also die Wahl: Wollen wir für denselben Effekt den grossen, alten Baum erhalten, oder 400 Jungbäume pflanzen. Nur die brauchen etwas mehr Raum …» Dies müsse man einfach verinnerlichen. Geschweige denn, was ein grosser Baum noch «so nebenbei» mache: «Er bindet 13 bis 18 Kilogramm Kohlen­dioxid pro Tag, oder anders gesagt, fünf bis sechs Tonnen im Jahr. Zudem bindet er Feinstaub: «Er lässt 200 bis 300 Liter Wasser am Tag verdunsten und kühlt die Luft so gewaltig. Ein Baum ist eine riesige Klimaanlage!» Er senke die Temperatur in seinem Umfeld um gute zehn Grad. «Gerade im städtischen Raum, wo sich die Bodentemperaturen erwärmen, ist dies ein wichtiges Argument.» Ein Stras­senzug ohne Bäume könne sich im Hochsommer auf bis zu 90 Grad aufheizen. Mit Bäumen bleibe die Temperatur bei moderaten 25 Grad. «Nichts kann diese Klimaanlage Baum einfach so ersetzten.» Und dies geschehe «einfach so»: «Es braucht keine kostenschwere Investition, keine zusätzliche Energie.» Betrachte man dies ökologisch, so gebe es nichts Besseres. «Der Baum ist in Bezug auf Nahrungsmittel für Tiere und Menschen ein Rohstofflieferant. Seine Umweltleistung ist enorm.» 

Was ein Baum braucht

Damit er dies leisten könne, brauche der Baum Licht. Wachse ein Baum schief, so, weil er eben lichtsuchend sei. Dies nenne man Phototropismus. Hydrotropismus bedeute wassersuchend. Ein Baum habe kein homogenes Wurzelwerk. «Wo mehr Wasser ist, gibt es – in Verbindung mit Sauerstoff – auch mehr Wurzeln.» Stehendes Wasser sei das Ende für 99 Prozent der Bäume. «Ausser es sind zum Beispiel Mangroven.» 

Ein Baum wachse entgegen der Schwerkraft (geotrop). Das bedeute: «Wenn er nach einem Sturm die Spitze verliert, dann wächst irgendein Seitenast an die Spitze und übernimmt die Führung.» In einem Bestand, wo Bäume eng stünden, trieben sie einander in die Höhe. «Weil jeder ans Licht will.» Stünden Bäume zu dicht, hätten sie Stress. 

Anhand eines Baumstrunks zeigt Fabian Dietrich, wie durch «schlafende Augen» wieder Triebe entstanden. «Und es ist immer noch der gleiche Körper.» Die ältesten Bäume der Welt seien bis zu 10 000 Jahre alt. Diese Fichtenbestände befänden sich zum Beispiel am Polarkreis. Der höchste Baum der Welt, der Stratosphere Giant, ein riesiger Redwood, habe es geschafft, um die 120 Meter hoch zu werden. Es gebe auch einen Mammutbaum, der über 1500 Kubikmeter Stammholz verfüge. Dietrich lacht: «Stellen Sie sich vor, für die Baumpflege klettern Sie 30, 40 Meter hinauf, bis nur der erste Ast kommt, und der ist dann auch noch drei Meter dick. Wenn man unter diesem Baum hängen würde, wäre es schon eine spannende Challenge …» Er wolle einfach die Dimensionen darlegen. So habe eine mexikanische Sumpf­zypresse 58 Meter Stammumfang, knapp 20 Meter Durchmesser. Dietrich durchschreitet den Raum. «Hier hätte er nicht Platz – das sind baumatische Leistungen!» 

Ein grosser Fehler, den wir Menschen begingen, sei, dass wir Bäume mit unserer Lebensspanne verglichen. «Ein Baum ist mit 100 Jahren noch im Teenageralter. Manche Bäume können 1000 Jahre alt werden, wenn wir in Menschenleben rechnen, so entspricht dies einem zehnjährigen Kind.» 

Sorge tragen – und nachfragen

«Unter der Hodler-Linde kann man auch bei 35 Grad gemütlich picknicken», so Dietrich. Seit Jahren pflegt sie sein Team. «Der Baum ist so hohl, darin könnte man gar biwakieren» (lacht). Er zeigt auf die Gabelungen: «Sie sind nicht gut verwachsen, es gibt Schwachstellen, hier haben wir mit Stahlseilen stabilisiert.» Natürlich werde die maximale Sicherheit erwartet, wenn ein Baum erhalten werde. «Unsere Bäume kontrollieren wir mindestens jährlich.» Eine Stieleiche in Kehrsatz, die als absterbend und gefährlich gegolten habe, reagiere auf die ausgeführten Baumpflegearbeiten gut. «Seitens der Gemeinde wurde publiziert, der Baum sei gefährlich und nicht mehr zu retten. Und die meisten Menschen fragen dann nicht nach. Doch das stimmte nicht, was mittels eines Gutachtens belegt werden konnte» (zeigt auf den Baum). 

Fabian Dietrich zeigt an zig weiteren Baum-Beispielen, wie gross Unwissenheit und Ignoranz mancher Ämter und der Bevölkerung ist. Eine Linde hatte im Kronenbereich – «von früheren, unsachgemässen Schnitten» – gros­se Wunden, wo Fäulnis entstand. «Entsprechend wurde argumentiert, der Baum sei nicht mehr sicher. Aber mit entsprechender Entlastung und dem Einbau von Kronensicherungen konnte die Linde vollumfänglich sicher gemacht werden. Heute ist sehr vieles möglich.» Doch mit Jungbäumen könnten wir den Klimawandel nicht kompensieren. «Wir müssen zu den bestehenden Bäumen Sorge tragen!»

Bäume haben keine Lobby

Manchmal sei der Kampf gegen die Unwissenheit ein starker Feind. Fabian Dietrich erzählt von zig Ereignissen, die an dieser Stelle unerwähnt bleiben müssen. «Ich habe schon erlebt, dass ein Bauer, der in der Baukommission einer Gemeinde sitzt, mit dem Traktor nicht dorthin kam, wo er hinwollte – deshalb sollte der alte Baum weg. Plötzlich liegt dann ein entsprechendes Gutachten auf dem Tisch.» Mit solchem habe er zu oft zu kämpfen. Zu guter Letzt sein Tipp in Sachen Klimabäume: «Bei Neupflanzungen sollten wir nicht mehr nur auf einheimische Baum­arten setzen. Durch die Klimaveränderung ändert sich auch die Klimazone. Buche und Fichte haben mit der Klimaveränderung zu kämpfen.» Es brauche klimaverträgliche Baumarten, die zu kühlen hälfen. Und wenn einheimische Bäume, dann beispielsweise Linde, Feldahorn, Stil­eiche, Traubeneiche, Elsbeere, Vogelbeere, Mehlbeere. «Aber auch Eschen sind gut. Ulmenarten. Die Wahl der Baumart trägt bei Baumpflanzungen zu 90 Prozent zum Erfolg bei.» 

Widerstand gegen das Fällen

Ja, es brauche Widerstand, wenn alte Bäume gefällt werden sollen, so der Baumpflegespezialist. Die Stadt Bern habe ein Baumschutzreglement. Ansonsten hätten es alte Bäume häufig schwer. «Die Angstmacherei ist der grösste Feind.» Scheinargumente erhielten ungeprüft Gewicht. «Rechtlich sind die Hürden hoch. Die Zeit, in der Bäume unter Schutz gestellt werden, sind vorbei.» Deshalb seien Bäume, die störten, plötzlich «einfach weg». «Unsere Aufgabe ist es, den Menschen zu erklären, wie es wirklich ist. Das ist viel schwieriger.» Es sei einfacher, einen Baum zu fällen und schnell Geld zu verdienen. «Doch wir bleiben dran und klären weiter auf.»


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