Skip to main content

-


Anzeige


«Auch junge Menschen haben grosses Interesse an freiwilliger Arbeit»

Dachverband Freiwilligenarbeit • Nina Gutweniger ist Geschäftsleiterin von benevol Kanton Bern, der Fachstelle für Freiwilligenarbeit. Sie hebt den Gewinn hervor, den Freiwilligenarbeit für die Gesellschaft darstellt.

| Sonja Laurèle Bauer | Gesellschaft
Beim Blauen Kreuz helfen Hunderte Freiwillige mit, dass zum Beispiel Tanztrainings, Treffpunkte in Bistros oder Ferienlager stattfinden können. Ohne sie ginge dies alles nicht. (Bild: Blaues Kreuz Bern-Solothurn-Freiburg)

Aus der Fusion der beiden Vereine benevol Bern und benevol Biel und Umgebung entstand 2021 eine kantonale und neu organisierte Fachstelle, die dank den Vorgängervereinen über einen Erfahrungsschatz von fünfzig Jahren verfügt. Die Fachstelle für Freiwilligenarbeit bietet Weiterbildung und Beratung für Institutionen und Organisationen an, die Freiwillige beschäftigen wollen, ist also für das Freiwilligenmanagement und die Professionalisierung der Freiwilligenarbeit zuständig. Benevol vermittelt auch Einsätze. «Kommen Menschen zu uns, die sich freiwillig engagieren wollen, helfen wir, ein passendes Engagement zu finden», so Nina Gutweniger, Geschäftsleiterin von benevol Kanton Bern.

Frau Gutweniger, wie motiviert man Menschen, sich freiwillig zu engagieren?

Nina Gutweniger: Um Menschen für die Freiwilligenarbeit zu motivieren, organisieren wir beispielsweise Gewinnungsanlässe. Es gibt eine Art Dating, also verschiedenen Tische, woran beide Parteien sitzen. Also jene, die sich für einen Einsatz interessieren und jene, die Freiwillige suchen. Interessierte können sich so in Bezug auf die verschiedenen Möglichkeiten informieren lassen.

Das sind aber nicht die Hauptaufgaben von benevol, oder?

Wir übernehmen ähnliche Aufgaben wie ein Dachverband. Wir haben einen Leistungsvertrag mit dem Kanton Bern, der uns mitfinanziert. Grundsätzlich haben wir den Auftrag der Förderung des freiwilligen Engagements und dessen Sichtbarkeit. Und: Wir setzen uns mit unseren Mitgliederorganisationen dafür ein, dass die Qualit.t eingehalten wird. Es geht auch darum, wie freiwillige Arbeit die bezahlte ergänzen kann.

Konkurriert sich dies nicht?

Es ist natürlich eine politische Frage, welche Aufgaben der Zivilgesellschaft überlassen werden. Aber um das, was Sie wahrscheinlich meinen, einzudämmen, begeben wir uns regelmässig in den übergeordneten, gesellschaftlichen Diskurs und schauen, wo Freiwilligenarbeit tatsächlich sinnvoll ist.

Und was sind die beliebtesten Jobs in der Freiwilligenarbeit?

Es gibt eine explizite Rangliste. Natürlich kommt es darauf an, wie alt jemand ist, der sich engagieren möchte, wie viel Zeit er oder sie hat usw. Ich würde aus Erfahrung sagen, dass die Bereiche Gesundheit (Fahrdienste des SRK, Essensausgabe, Vorlesedienst, Besuche von Klienten daheim oder im Altersheim usw.), Kinder- und Jugendliche (Aufgabenhilfe usw.) oder Asyl (Begleitung Geflüchteter, Hilfe im Alltag, Büroarbeiten) auf grosses Interesse stossen. Aber auch Einsätze im Strassenverkehr, oder die Kultur betreffend.

Können Sie uns ein kulturelles Beispiel nennen?

Es gibt zum Beispiel in Museen spezielle Anlässe, wie zum Beispiel Entdeckerangebote, um Kinder zu animieren, wie es im Naturhistorischen Museum in Bern der Fall ist. Dort übernehmen Freiwillige diese Tätigkeit. Aber auch bei Musikfestivals und ähnlichem sind immer wieder Freiwillige anzutreffen.

Sind mehr Frauen oder Männer in der Freiwilligenarbeit anzutreffen?

Bei der informellen Freiwilligenarbeit, also wenn es darum geht, direkte Hilfeleistungen für andere zu übernehmen, ohne dass jemand dies von aussen organisiert, sind die Frauen stärker vertreten. Bei der formellen Freiwilligenarbeit sind es die Männer. Diese nehmen besonders viele Ehrenämter, also Vorstandsmandate usw. wahr.

Und welche Altersgruppe ist am meisten vertreten?

Sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern ist es die Gruppe der 65- bis 74-Jährigen.

Fehlt es der Jugend an Zeit oder Interesse?

So pauschal lässt sich das nicht sagen. Der neue Freiwilligenmonitor zeigt, dass unter den Menschen, die noch keine Freiwilligenarbeit leisten, die Jungen sogar ein überdurchschnittlich grosses Interesse an der Freiwilligenarbeit haben. Doch man muss sie anders abholen als die Seniorinnen oder Senioren. Junge wollen Neues ausprobieren, sind offen, jemandem Ihre Hilfe anzubieten. Was den grössten Unterschied zur älteren Generation ausmacht, ist wahrscheinlich die Dauer. Junge haben weniger Lust, sich für eine längere Zeit zu verpflichten. Ihr Interesse fokussiert sich auf kürzere Einsätze. Man kann eine allgemeine Veränderung im Zeitgeist beobachten: Es gibt mehr Wechsel als früher. Es ist alles dynamischer geworden, die Wechsel bedeuten für Einsatzorganisation einen grossen Zusatzaufwand.

Woran liegt es, dass mehr gewechselt wird?

Es gibt ein riesiges Angebot und einen ebensolchen Bedarf an Freiwilligenarbeit. Übrigens sind es nicht allein die Jungen, die oft die Tätigkeit wechseln. Das tun auch die älteren. Neben dem grossen Angebot an Tätigkeiten gibt es noch ein grosses Freizeitangebot. All dies animiert, möglichst viel auszuprobieren. Es gibt Organisationen, die müssen schon Wartelisten führen, weil sich so viele bei ihnen engagieren möchten.

Warum ist dies Bedürfnis so gross?

Weil die momentane Weltlage viele Menschen, auch hierzulande, hilflos und ohnmächtig macht. Wenn sie sich für etwas einsetzen, können sie der Ohnmacht entgegensteuern. 

Apropos Wartelisten: In welchen Bereichen fehlt es an Freiwilligen, die sie dringend benötigten?

Das Bedürfnis nach Hilfe ist gross. Vielen Institutionen oder Organisation fehlen Freiwillige. Das zeigt sich zum Beispiel im Gesundheitswesen oder im Bereich Alter. Natürlich gibt es Schwankungen innerhalb einer Organisation. Wichtig ist, dass man bei der Suche nach Freiwilligen kreativ bleibt und proaktiv ist.

Beobachten Sie in den vergangenen Jahren eine Veränderung der bevorzugten Arbeiten?

Ja, noch vor ein paar Jahren waren beispielsweise Klimathemen prominenter. Wie bereits erwähnt, ist Freiwilligenarbeit immer auch ein Spiegel der Gesellschaft. Kriege verdrängen zurzeit vordergründig die Klima-Angst. Also werden auch die Prioritäten der Freiwilligen bei der Freiwilligenarbeit angepasst. 

Gibt es etwas, das über die vergangenen Jahre konstant blieb?

Nach wie vor engagieren sich (jüngere) Seniorinnen und Senioren oft für andere (ältere oder beeinträchtigte) Seniorinnen und Senioren. Auch Nachbarschaftsprojekte, lokale Hilfe-Initiativen usw. finden regen Zulauf, denn dort kann man den Bedarf an Unterstützung direkt sehen.

Und wer hilft, ist selbst weniger einsam?

Ja, unbedingt! Sich für andere einzusetzen bedeutet, dass man selbst gebraucht wird, nicht mehr einsam ist, ein wichtiger Teil der Gesellschaft bleibt. Es gibt ja auch generationenübergreifende Projekte, wo jüngere Menschen älteren zum Beispiel beim Gebrauch digitaler Geräte helfen, und vieles andere…

Ich denke gerade an das UND Generationentandem in Thun…

Ja, zum Beispiel. Es gibt bereits viele solcher Projekte, die wichtig sind, weil sie Bedürfnisse auf beiden Seiten abdecken: auf der Geber- und Empfängerseite.

Was sind die wichtigsten Motivationsfaktoren bei der Freiwilligenarbeit?

Allgemein könnte man es so sagen, dass auch die personenbezogenen Motivationsfaktoren oft zur Geltung kommen. Das bedeutet, dass ältere Menschen der Gesellschaft und dem Leben etwas zurückgeben möchten und gleichzeitig  etwas für sich selbst daraus ziehen. Oder, apropos Einsamkeit, erobern sich durch die Freiwilligentätigkeit eine Tagesstruktur zurück. Eine junge Person erhofft sich vielleicht neue Netzwerke und den Erfahrungsgewinn. Sie erhalten Zugang zu Bereichen, zu denen sie sonst keinen hätten. Und sie fühlen sich gut, weil sie eine sinnvolle Aufgabe haben. Das ist sehr wichtig für des Menschen Wohlbefinden.

Freiwilligenarbeit ist also für alle Seiten ein Gewinn?

Unbedingt. Denn sie gibt allen etwas zurück. Uns geht es auch um die Sichtbarkeit der Notwendigkeit der Freiwilligenarbeit. Und Menschen, die sich freiwillig engagieren, sollen Anerkennung erhalten – denn sie ist absolut nicht selbstverständlich. Unsere Gesellschaft, also wir, hätten ein Riesenproblem ohne sie: Im vergangenen Jahr kamen 590 Millionen Stunden an Freiwilligenarbeit zusammen (Freiwilligenmonitor 2025). Das ist ein immenser Wert! 66 Prozent der Bevölkerung engagiert sich diesbezüglich. Diese Zahlen sind relativ stabil. Selbst durch die Interessensverschiebungen.

Während Covid gab es einen Einbruch…

Ja. Doch unterdessen nicht mehr. Einen kleinen Unterschied gibt es doch: Die informellen Tätigkeiten gingen zurück, während die formellen gleich blieben. Alles in allem kann man sagen, hierzulande ist die Freiwilligenarbeit auf hohem Niveau stabil. Natürlich gibt es Herausforderungen. Zum Beispiel in Bezug auf jene Menschen, die sich nur zeitlich begrenzt engagieren wollen und die wieder wegfallen. Trotzdem: Freiwilligenarbeit ist nicht selbstverständlich. Wir müssen sie wertschätzen.

Man denkt beim Begriff der Freiwilligenarbeit an Hilfsangebote, aber man kann sich ja auch in Vereinen engagieren?

Ja, natürlich: Es gibt Sportvereine, Musikvereine, Gesangsvereine, Gartenvereine, Umweltvereine … Aber auch Vereine, die sich für die Migrantinnen und Migranten einsetzen, für Tiere und vieles mehr. Das Vereinsengagement ist sehr wichtig. Wie gesagt: Die Vielfalt ist enorm.

Nennen Sie uns doch noch den wichtigsten Faktor für das Engagement der meisten Menschen.

Freiwilligenarbeit soll Freude machen. Und zwar auf beiden Seiten. Das Zusammenkommen stärkt das Sozial leben. Das ist für die meisten Engagierten enorm wichtig. Wahrscheinlich dicht gefolgt vom Altruismus: anderen helfen zu wollen. Wahrscheinlich ist es eine Kombination von beidem.


Ihre Meinung interessiert uns!


Verwandte Artikel


Anzeige