Das Belper Schulmodell könnte schweizweit Schule machen
Belp • Das von Daniela Schädeli angedachte und von der Gemeinde Belp willkommen geheissene, neue Schulprojekt könnte Ruhe, Sicherheit und Kontinuität und dadurch ein gutes Gefühl in den Alltag von Eltern und Schülerinnen und Schüler bringen. Und über die Anzahl der Ferienwochen kann diskutiert werden.
So viel Medienpräsenz haben sie hier in Belp nicht erwartet: Gemeindepräsident Stefan Neuenschwander (SP) freut sich darüber, bleibt aber sehr bescheiden. «Die Lehrerin und Mutter Daniela Schädeli, Leiterin der Abteilung Familie und Bildung, ist die Ideengeberin», so Neuenschwander. «Der Gemeinderat hat sie lediglich darin unterstützt, damit die Idee auch in ein Projekt münden kann.»
Interessanter Denkanstoss
Neuenschwander empfindet das angedachte neue Schulprojekt als einen interessanten Denkanstoss. Das Modell kennen wohl inzwischen, nach der Medienpräsenz der vergangenen Woche, alle im Kanton Bern: Im Schulhaus Hohburg soll eine Basisstufe nach dem neuen Modell unterrichtet werden. Die offizielle Schulzeit pro Tag dauert – mit Mittagessen – von 8.00 bis 16.30 Uhr. An 46 Wochen im Jahr soll die Schule geöffnet sein. Die Kinder sollen vier statt fünf Tage pro Woche zur Schule gehen. «Ob der freie Tag zum Beispiel ein Mittwoch oder ein Freitag sein wird, kann gern diskutiert werden», so Daniela Schädeli. Man sei zurzeit dabei, mehrere Informations- und Eruierungsveranstaltungen zu organisieren und anzubieten. Als Ausgleich für den wöchentlichen freien Tag mehr sollen die Kinder Urlaubswochen hergeben, so die Überlegung. Mindestens sechs Wochen im Jahr sollen sie gem.ss der Idee noch haben. Dies, um die Eltern zu entlasten, die heute in den meisten Fällen beide berufstätig sind und in den langen Sommerferien oft nicht wissen, «wohin mit den Kindern». Und tatsächlich scheint die Idee bei den Eltern mit Kindern im Schulalter über Belp hinaus auf reges Interesse zu stossen.
Individuelle Ferienwoche zusätzlich
Ob es allerdings je länger, je mehr sein muss, dass die Kindheit den Bedürfnissen der Eltern angepasst wird, kann man sich durchaus fragen. Dies allerdings sieht Daniela Schädeli anders: «Die langen Sommerferien kommen doch sowieso aus Zeiten, in denen die Kinder daheim auf den Landwirtschaftsbetrieben helfen mussten. Man hat die Ferien und Schulzeiten immer den Eltern, respektive der Industrialisierung und dem Zeitgeist angepasst.»
Das ist wohl wahr. Doch man kann auch sagen, dass die Kinder früher wenigstens tagelang draussen waren, um ihren Kopf zu lüften und vom Schulstoff abzuschalten (ausserdem hatten sie keine süchtigmachenden Handys), was bekanntlich elementar wichtig für das geistige und seelische Wachstum und Wohlbefinden ist. Und man kann auch sagen, dass die langen Ferien aufgrund der Sommerhitze Sinn ergeben, zumal es klimabedingt stets heisser und heisser wird. Und: Wer Kinder hat, weiss, wie sehr diese nach einem langen Quartal schulmüde sind und sich auf die Ferien freuen. «Genau dem soll ja mit der Viertagewoche Rechnung getragen werden», so Schädeli.
Überlegungen und Gedanken
Doch: Sagte man nicht noch vor kurzer Zeit, bevor sich Arbeit und Freizeit vermischten, der Mensch erhole sich erst nach drei Wochen Wegsein-von-allem-Beruflichen/Schulischen so richtig? So gesehen können sechs Wochen im Jahr für Kindern niemals reichen. Als Argument für weniger Schulferien für Kinder wird oft auch die Ferienwochen-Fallhöhe für jene ins Feld geführt, die eine Lehre beginnen. Doch wäre da nicht die Diskussion angebracht, die Ferienzeit für Lernende eher zu verlängern, statt für Kinder zu verkürzen? Oder: An Weihnachten ist Familienzeit. Kinder bräuchten in dieser Zeit etwa zehn Tage frei, um mit den Feiertagen auf 14 Tage zu kommen. Und: Was ist mit der wichtigen Sportwoche? Liesse die sich wieder reanimieren und in die Schulzeit legen? Obligatorisch für alle? Wer nicht Ski fährt, ginge wandern oder Schlittenfahren? Zusammenhalt garantiert. Dann müsste diese Woche nicht als «Ferien» gerechnet werden. Dann reichten vielleicht gar eine Woche bis zehn Tage im Frühling? Die meisten Familien verreisen im Hebst, also br.uchte es in der Zeit mindestens 14 Tage. Im Sommer fahren viele zugewanderte Familien in ihre Heimatländer. Das rentiert selten in 14 Tagen. Daniela Schädeli: «Es wird in den Medien viel zu stark auf diese sechs Wochen fokussiert! Ich sage es nochmal: Es ist ein Pilotversuch. Es können letztendlich auch durchaus acht oder neun Wochen sein. Das muss man nun eben diskutieren und ausprobieren.»
Was zudem angedacht ist: «Eine Ferienwoche zusätzlich soll flexibel sein. Diese können zu dem Zeitpunkt Familien beziehen, wenn es für sie am besten passt.»
Mehr Ruhe und Kontinuität
Auch der Lehrplan und die vermittelten Fächer sollen angepasst und multidisziplinär werden. Da dürfe es durchaus gemeinsame Tätigkeiten in der Natur geben, wie zum Beispiel das gemeinsame In-die-Badi-Gehen, zusammen kochen, gärtnern usw. «Wie gesagt, es ist ein Pilotversuch, wir sind für Ideen und Anpassungen offen und nun dabei, interessierte Familien für die Probeklasse zu finden.»
Ein weiterer wichtiger Punkt: Viele Eltern geben ihre Kinder über die Mittagszeit oder nach der obligatorischen Schule mit unterschiedlichen Endzeiten in die Tagesschule, weil sie sich sonst nicht organisieren können. Dem will Schädeli entgegenwirken. Die Tagesschule friste heute ein Lückenfüller-Dasein. Dieses «heute so und morgen anders» sei für Kinder nicht optimal. Natürlich sollen die Tagesschulen ins Projekt einfliessen. Durch die tägliche obligatorische Schulzeit bis 16.30 Uhr, inklusive gemeinsamen Mittagessen, und den involvierten Tagesschulen (für jene, die sie nach Schulschluss in Anspruch nehmen wollen) sollen Bildung und Betreuung besser koordiniert werden k.nnen und sich für Kinder und Eltern besser, da kontinuierlich, anfühlen. Eltern und Schülerinnen und Schüler profitierten von mehr Sicherheit und Ruhe im Alltag. Eine enorme Wertsteigerung!
Ist es denn aber nicht schwierig, Lehrpersonen für 46 Wochen Unterricht im Jahr zu finden? «Im Gegenteil: Eine Viertagewoche könnte für Lehrpersonen durchaus interessant sein.» Zur Erinnerung: Lehrpersonen haben nicht 13 Wochen im Jahr Urlaub, wie die Schülerinnen und Schüler, sie haben in der Zeit unterrichtsfreie Zeit. Und wenn wir schon dabei sind: Spannend wäre bestimmt auch die Überlegung, ob eine Lektion wirklich stets 45 Minuten dauern muss. Schliesslich hat sich der Unterricht in den vergangenen Jahren stark verändert. Oder ob es auch hier andere, neue Modelle gäbe? Zusätzlich habe Belp, so Schädeli auf Nachfrage in Bezug auf Ferienprogramme versus Schulzeit, für die Sommerferien ein dreiwöchiges Angebot schaffen können.
Revolutionäres Schulprojekt
Und wirklich: Werden sich dereinst oben erwähnte Fragen geklärt haben – und das werden sie im Laufe der Zeit –, könnte das Belper Schulmodell schweizweit Schule machen. Denn die Projektidee ist wirklich revolutionär. Belp ist auf dem Weg, in Sachen Volksschulmodell eine Vorreiterrolle in der Schweizer Schullandschaft zu übernehmen. Doch nun wird vorerst ausprobiert: Nach 18 Monaten wird der der Versuch von der P.dagogischen Hochschule Bern evaluiert werden. «Ist das Resultat negativ, wird der Pilotversuch nach drei Jahren beendet, ansonsten auf sechs Jahre ausgeweitet. Erst danach wird eine Gesetzes.nderung in Betracht gezogen», so Stefan Neuenschwander.
Daniela Schädeli freut sich sehr: «Wir erhofften uns Interesse, dass es aber so gross sein würde, haben wir nicht erwartet.» Gemeindepräsident Stefan Neuenschwander ergänzt: «Wir waren begeistert von der Idee, Daniela Schädeli hat bei uns sozusagen offene Türen eingerannt.» Belp habe sich diesbezüglich auch mit Nachbargemeinden ausgetauscht. «Überall stiess das Projekt auf reges Interesse.»
«Nun geht es darum, Fakten zu schaffen,» so Schädeli. «Das Konzept kann schliesslich anders sein als die Idee.» Man nehme den Kindern nichts weg, im Gegenteil, blicke man auf die Wochentage, so hätten sie einen Tag mehr wirkliche Familienzeit. Das könne Nähe, Qualität und neue Möglichkeiten für die ganze Familie schaffen. Man habe vieles bereits einberechnet: «Es wird für Eltern und Kinder einfacher sein als bisher.» Das Betriebskonzept werde nun gemeinsam mit Eltern, Lehr- und Betreuungspersonen erarbeitet. Alles solle diskutiert werden dürfen, so Schädeli. «Wir sind für alles offen.»