Der Weg zu einer suffizienteren Gesellschaft
Transformation | Vorstellungen einer nachhaltigeren Zukunft, wie sie Niko Paech beschreibt, dienen aus ökologischer Perspektive als erstrebenswerte Idealzustände. Die Herausforderung besteht aber darin, dorthin zu gelangen.

Nicht wenige Menschen glauben daran, dass technologische Innovationen die Probleme lösen können, die die Klimakatastrophe verursacht. Zwar kann Technologie eine unterstützende Funktion übernehmen. Doch sie allein genügt nicht, um alle sozialen und ökologischen Herausforderungen zu meistern. Diese Meinung vertritt Ion Karagounis, Experte für zukunftsfähige Wirtschaftsmodelle vom WWF Schweiz.
Die beste Energie
Gerade die Digitalisierung und damit einhergehend künstliche Intelligenz (KI) könnten Prozesse effizienter und umweltfreundlicher gestalten. Sofern das aber lediglich dort passiere, wo Menschen die Natur beschädigten und den Schaden anschliessend reparieren wollen, helfe das nicht genug. «Jahrzehntelang haben wir die Atmosphäre mit CO2 belastet, und jetzt holen wir es wieder aus der Luft», sagt Karagounis. «Kaputt machen und nachher wieder flicken, braucht enorm viel Energie». Für ihn ist deshalb klar: «Am besten ist die Energie, die man nicht braucht.»
Emissionen und Ressourcen
Das Ziel eines suffizienten Lebens besteht darin, ein gutes Leben mit weniger Energie- und Ressourcenaufwand zu führen. Ein solcher Lebensstil ist angebracht, weil wir die Umwelt überbeanspruchen. Das gilt vor allem für unseren Energie- und Ressourcenüberkonsum.
In Diskussionen zum Thema Suffizienz äussern Leute oftmals die Befürchtung, die Ressourcen gingen aus. Gemäss Karagounis stimme das so nicht ganz. Die Wirtschaft habe immer Wege gefunden, die notwendigen Ressourcen bereitzustellen. «Das Problem sind eher die Emissionen, die bei der Ressourcengewinnung entstehen, nicht die fehlenden Rohstoffe.» Konkret meint er hier CO2-Emissionen, die Zerstörung der Regenwälder, die Übersäuerung der Meere und dergleichen.
Geordnetes Schrumpfen
Karagounis betont, dass verschiedene Modelle eines suffizienteren Gesellschaftssystems existierten, die künftig funktionieren könnten. Wenn wir beispielsweise mit weniger Konsum auskommen, brauchen wir weniger Geld und können dann entsprechend weniger arbeiten. «Als Zielzustand funktionieren solche Modelle.» Die entscheidende Frage sei eher, wie wir diesen Zustand erreichten.
Unser kapitalistisches System in der heutigen Form verlangt aufgrund der Konkurrenz innerhalb der freien Marktwirtschaft Wachstum. Das Ziel der Wirtschaft müsse aber eher darin liegen, geordnet zu schrumpfen, wie Karagounis erklärt. «Doch dazu braucht es mehr Forschung. Eine Universität könnte sich mit einem Lehrstuhl für geordnetes Schrumpfen verdient machen.»
Es müsse geklärt werden, was einer staatlichen und was einer marktwirtschaftlichen Regulierung bedürfe. «Einfach einen Schalter zu kippen, geht nicht.»
Ein geordnetes Schrumpfen sei allein deshalb angezeigt, weil verschiedene Indikatoren einen langfristigen wirtschaftlichen Rückgang vermuten liessen.
Zum Beispiel gehen Forscher davon aus, dass gegen Ende des Jahrhunderts die Weltbevölkerung wieder schrumpft. «Weniger Leute haben weniger Bedürfnisse», sagt Karagounis. Zudem zeige die Geschichte, dass in wirtschaftlich gut entwickelten Regionen eine natürliche Sättigung einsetze. Zum Beispiel habe der Westen nach dem Zweiten Weltkrieg einen wirtschaftlichen Boom erlebt, der im Laufe der Jahrzehnte deutlich zurückgegangen sei. Zuletzt verzeichnete China einen riesigen wirtschaftlichen Anstieg, der jetzt aber bereits wieder abflacht. Und auch die Klimakatastrophe selbst setze Grenzen. «Die Landwirtschaft wird an Fruchtbarkeit einbüssen», erklärt Karagounis.
Er betont aber, dass Umweltschutz und ein suffizientes Leben nicht eine vollständige Deglobalisierung verlangten. Bei einigen Gütern sei es zwar sinnlos, wie sie heute hin- und hertransportiert würden. Das betreffe beispielsweise Tomaten aus China, die nach Italien gelangten, um dort in Büchsen zu landen, die dann wiederum verschifft würden. In solchen Fällen sei eine Regionalisierung durchaus angebracht. Bei hochspezialisierten Anwendungen wie der Computertechnologie sei das nicht realistisch: «Nicht jedes Land kann seine eigenen Computerchips herstellen», sagt Karagounis.
Bürgerdienst und Gesundheitsprävention
Karagounis nennt auch Beispiele, die einen Übergang zu einem suffizienzorientierten Wirtschaftssystem ermöglichen können.
Erstens stehe die Idee eines Sozial- oder Bürgerdienstjahrs im Raum: Schulabgänger erbringen nach ihrer Schulzeit ein Jahr Pflegeleistung für ältere und kranke Menschen. Dafür erhalten die Jugendlichen dann ein Jahr Zeitguthaben. Dieses könnten sie später einsetzen, wenn sie selbst ein pflegebedürftiges Alter erreicht haben. So erhielten sie die gleiche Leistung, die sie selbst erbracht haben.
Zweitens habe Japan bereits heute eine stark überalterte Gesellschaft. Deshalb setze die Regierung auf Gesundheitsprävention. «Denn wer gesund ist, verursacht weniger Kosten und Aufwand im Alter», sagt Karagounis.
Drittens stelle sich auch die Frage, wie viel Infrastruktur wir brauchen. Wenn kurzfristig beispielsweise Strassen ausgebaut und später nicht mehr gebraucht werden, müssen diese dennoch unterhalten werden, was wiederum Geld und Ressourcen verlangt. Hier erhofft sich Karagounis Unterstützung von KI. Mit technischer Steuerung sei es in Zukunft möglich, «mit gleich viel Strasse mehr Kapazität zu ermöglichen», zum Beispiel indem automatisch diejenige Geschwindigkeit vorgegeben werde, die den besten Verkehrsfluss zulasse.
Das Portemonnaie
Ein entscheidender Baustein für den Übergang in eine suffizientere Gesellschaft bleibe weiterhin der Griff in die Brieftasche. «Der Preis der Produkte ist entscheidend.» Es brauche höhere Abgaben oder Steuern für gebrauchte Energie oder verursachte Emissionen. Als Beispiel nennt Karagounis eine Erhöhung von CO2-Abgaben auf Brennstoffe und die Einführung einer CO2-Abgabe auf Treibstoffe wie Benzin. Entsprechend wichtig sei in diesem Kontext ein politisches Bestreben, umweltfreundliche Produkte günstiger machen zu können. «Die Mehrheit würde Biotomaten kaufen, wenn sie billiger wären», so Karagounis, «wären umweltfreundliche Produkte billiger, müssten wir uns um vieles weniger Sorgen machen.»