Aufwendig, aber wertvoll
Rüfenacht • Bauherr Jürg Schulthess und Architekt René Feller bauen vier Mehrfamilienhäuser – und integrieren eine alte Krim-Linde. Diese hätte ohne Einsprachen und Gutachten des Baumpflegespezialist Fabian Dietrich wohl weichen müssen.

«Ja, die alte Linde zu erhalten, bedeutet einen finanziellen Mehraufwand im mittleren sechsstelligen Bereich», sagt Bauherr Jürg Schulthess, Mitinhaber der Contractbau Bern GmbH . «Wir dürfen das Projekt realisieren, erhielten den Baurechtsvertrag von der Gemeinde Worb. Im vergangenen Mai konnten wir den Baurechtsvertrag abschliessen. Der Rückbau der beiden Häuser auf dem Gelände hat begonnen.» René Feller ist Architekt bei «ANS Architekten und Planer, Worb». Gemeinsam mit der Contractbau Bern setzte er zuvor bereits zwei weitere Projekte um. Auch bei diesem ist er seit Beginn vor sechs Jahren involviert. Vor zwei Monaten erhielt die Contractbau GmbH die Baubewilligung.
«Durch das Einspracheverfahren gab es ein halbes Jahr Verzögerung», so Schulthess. Einsprache erfolgte unter anderem durch die Umweltorganisation «Helvetia Nostra», die eng mit der Fondation Franz Weber zusammenarbeitet. Dass der Baum weiterleben darf, war bereits vor einem guten halben Jahr das Ziel (wir berichteten). Nun sind in Rüfenacht die Baumaschinen aufgefahren, das alte Bauernhaus wird abgerissen. Gerettet werden der dazugehörige Speicher – er wurde nach Worb umgezogen und dient der Jugend als Treffpunkt –, der geschichtsträchtige Brunnen des Bauernhauses und eben die Krim-Linde. Auch die Rosskastanie und eine weitere Linde am Geländerand dürfen stehen bleiben. Das ist die gute Nachricht. Was man nicht sieht: «Das Bauen um den Baum herum wird anspruchsvoll werden», so Schulthess. «Der Baum steht mitten auf dem Areal, es besteht die Gefahr, dass er verletzt wird.» Deshalb brauche es die Hilfe und das Bewusstsein der Arbeiter, damit dies nicht geschehe. Baumpflegespezialist Fabian Dietrich hat diesbezüglich keine grossen Bedenken. Es ist nicht das erste Mal, dass er einen alten, gesunden Baum, der die Umweltleistung von 400 Jungbäumen bietet, einbezieht.
Zur alten Linde
Architekt René Feller besuchte im Vorfeld einen der bekannten Baumvorträge von Dietrich: «Wir lernten viel vom Baumpflegespezialisten», sagt er. Es sei schliesslich ein langer Prozess gewesen, das Bauprojekt um den Baum herum zu planen, um sicherzustellen, dass weder Baum noch Wurzeln verletzt werden.» Dietrich habe den Boden wie ein Chirurg untersucht, ergänzt Schulthess. Doch: «Es war kompliziert und wird auch, sowohl für den Ingenieur als auch für den Baumeister, eine komplizierte Sache bleiben.» Baumpflegespezialist Dietrich wird das Linden-Projekt bis über das Bauende hinaus begleiten.
Warum aber gingen Bauherr und Architekt trotz des Mehraufwands auf den Baumerhalt ein? «Der Erhalt der Linde trägt zur Qualität der Überbauung bei. Zudem konnte dadurch ein langjähriges Verfahren vermieden werden.» Und dies relativiert wohl auch wieder die Kosten, die bis anhin entstanden. «Zudem ist es eine für Menschen und Umwelt schöne Sache.» Gewandt nannte der Bauherr die Überbauung auch gleich «Zur alten Linde».
Adern im Boden
Die alte Linde werde nahe am Haus stehen, so Feller. Auch der Bau der neuen Einstellhalle stelle eine Herausforderung dar. «Dass der Baum auch zur Lebensqualität beiträgt, ist klar», so Feller. «Wir begrüssen die fachliche Unterstützung durch Fabian Dietrich.» Schulthess: «Wir werden ausführen, was er sagt.» Was die Einstellhalle betrifft, bedeute dies, dass in deren Mitte, also dort, wo die Linde steht, eine Art riesiger Topf im Boden ausgespart werde. «So gross, dass seine Wurzeln nicht verletzt werden.» Das Gute: «Diese gehen nicht sehr tief in den Boden.» So habe Dietrich im Vorfeld Sondiergräben erstellt, die aussähen wie Adern. Von jeder Wurzel habe er Position und tiefe in die Pläne aufgenommen. Es gelte zudem, die Baugrubensicherung zu machen. Dies sei enorm aufwendig. Die Preise der Eigentumswohnungen würden nicht erhöht. «Wir versuchen, die Mehrkosten selbst zu tragen.» Über Spenden allerdings, die dem Baum zugutekämen, freuten sie sich. «Wir werden, mit der Unterstützung von Fabian Dietrich, über ein Crowdfunding nachdenken.»
Ohne Bauherren nicht möglich
Fakt ist: Ohne die Aufgeschlossenheit von Schulthess und Feller wäre das Projekt so nicht zustande gekommen. Wichtig zu erwähnen sei zudem, so Schulthess, dass bei der Überbauung ökologische Kriterien zur Sprache gekommen seien. «Es gibt viel Holz, viele Holzfassaden. Die Häuser werden über Photovoltaikanlagen verfügen, damit der Eigenverbrauch gewährleistet ist.» Elektroautos könnten angeschlossen werden. Bereits über zwanzig Wohnungsreservationen gibt es. Angeboten werden Wohnungen mit zweieinhalb bis viereinhalb Zimmern.
René Feller. «Das öffentliche Zentrum Rüfenachts wird in den kommenden Jahren neu gestaltet und aufgewertet.» Finanziell beteiligt sich die Gemeinde Worb an der Naherholungsfläche, dort, wo die Kastanie steht. Die Kosten der Linde zu tragen, hilft sie nicht.
Begutachter und Verwirklicher
Fabian Dietrich von der Baumpflege Dietrich GmbH wurde im Vorfeld und im Hinblick auf die Einsprachen beauftragt, die Begutachtung der Krim-Linde vorzunehmen. Er habe schnell gesehen, dass es möglich sei, den Baum ins Projekt einzubinden, so Dietrich, und so begann die Baumpflege Dietrich GmbH im Auftrag der Bauherrschaft mit der Wurzelsondierung. «Einfach war es nicht», so Dietrich. «Wir stellten fest, dass man nicht überall so nah an den Baum abgraben kann, wie es gewünscht gewesen wäre.» An der Westseite stehe heute bereits das Bauernhaus, das zurückgebaut werde. Dort werde auch die Wand des neuen Gebäudes sein. Auf der Ost- und Nordseite habe weiter sondiert werden müssen, «damit man wusste, wie viel Platz der Baum braucht». Danach habe das ganze Projekt neu geplant werden müssen. «Dies mitzumachen, ist den Bauherren hoch anzurechnen.»
Auch Dietrich betont: «Zugunsten des Baums wird ein Rechteck ausgespart, das für die Bauarbeiter tabu ist.» Dies bedeute natürlich für die Bauherrschaft, dass sie auf Einstellhallenparkplätze, die geplant gewesen seien, werde verzichten müssen. «Dieser Verzicht fällt natürlich auch unter die erwähnten Mehrkosten.» Klar, der Baumerhalt koste, so Dietrich, «hätten Helvetia Nostra und die anderen Parteien ihre Einsprachen aber weitergezogen, wäre dies unter dem Strich eventuell nicht günstiger gewesen.» Nun gehe es darum, eine Rühlwand und mehrere Nagelwände, also Baugrubensicherungs-Systeme, zu bauen, so Dietrich. An dieser Stelle wolle er sich bei der Bauherrschaft, den Planerteams, aber auch den Fachplanern bedanken. «Sie alle waren bereit, Lösungen zu finden, um den wertvollen alten Baum zu erhalten und mitzuhelfen, dass dies Bauvorhaben um die Krim-Linde realisierbar wird.»
Das Faszinierende: «Auf der Ostseite untergraben wir den Baum gar.» Die Wurzeln der meisten Bäume gingen nur 80 Zentimeter bis einen Meter tief in den Boden. «Wegen des Sauerstoffhaushalts.» Für die Linde bedeute dies konkret: «Da ihre Wurzeln nicht sehr tief gehen und nach dem Bau über der Einstellhalle Kulturerde eingebaut wird, wird die Linde viel Platz haben, um ihre Wurzeln in alle Richtungen zu strecken», freut sich Dietrich. Denn die Einstellhalle werde darunter liegen. «Der Baum kann beliebig weiter wurzeln, wie er will.»