Mehr Frauen für die Politik begeistern
Thun • Zum dritten Mal fand in Thun der Netzwerkanlass «Frauen und Politik» statt. Damit will man Frauen ermutigen, den Schritt in die Politik zu wagen. Ein Rückblick in die Geschichte zeigte: In Sachen Frauenpartizipation wurde viel erreicht, doch es gibt auch noch viel zu tun.

Bereits zum dritten Mal luden die Thuner Gemeinderätinnen Katharina Ali-Oesch (SP), Andrea de Meuron (Grüne) und Eveline Salzmann (SVP) zum Netzwerkanlass «Frauen und Politik» ein. Angesprochen sind Frauen, die den Schritt in die Politik erwägen. Mit dem Anlass sollen diese dazu motiviert werden, dies auch wirklich zu tun und dadurch einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Rund zwanzig Frauen folgten der Einladung. Als Referierende traten Gabriela Meister, Vizestadtschreiberin des Gemeinderats, und Christoph Stalder, Vizestadtschreiber des Stadtrats, auf. Sie vermittelten Basiswissen über die Politik mit dem erklärten Ziel, den Frauenanteil im Thuner Stadtparlament und allgemein in der Politik zu erhöhen. Doch Andrea de Meuron erinnerte in ihrem Begrüssungsvotum daran, dass eine grösstmögliche Diversität generell wichtig für ein Parlament sei und es also nicht ausschliesslich um das Thema der Geschlechter gehe, sondern darum, möglichst viele unterschiedliche Menschen für eine aktive Mitarbeit in der Politik zu gewinnen.
Grundsätze der Politik
Gabriela Meister führte in ihrem Votum aus, dass man an dieser Stelle nicht allgemeingültige Rezepte vermitteln könne, wie man eine erfolgreiche politische Karriere starte. Denn auch hier gelte: Verschiedene Wege führen ans Ziel! Wohl könne an dieser Stelle jedoch politisches Basiswissen vermittelt und auf diese Weise Hemmschwellen abgebaut werden. Denn zunächst müsse man sich bewusst sein, in welchem Rahmen beziehungsweise in welchem System man sich bewege. Und dieses System sei in der Schweiz zunächst einmal föderalistisch aufgebaut. Das heisse konkret, dass die Gemeinden – wie eine Stadt Thun – eine gewisse Autonomie hätten, anders als beispielsweise in einem zentralistisch organisierten Staat. Bund, Kantone und Gemeinden hätten in einem föderalistischen System ihre eigenen Kompetenzen. Eine Gemeinde könne also unter dem Grundsatz der Gemeindeautonomie sich selbst auferlegte Aufgaben erfüllen, habe gleichzeitig aber auch gewisse Vorgaben vom Kanton, der wiederum gewisse Vorgaben vom Bund habe. Als Beispiele für «autonome» Projekte der Stadt Thun nannte sie beispielsweise die finanzielle Unterstützung und die Installierung des Jugendparlaments, oder der gemeinnützige Wohnungsbau, der ein Teil der Thuner Wohnungsstrategie ist. Des Weiteren ging Gabriela Meister auch auf die Gewaltentrennung ein, die verhindert, dass sich zu viel Macht an einem Ort befindet. In der Schweiz gibt es die Exekutive, die Judikative und Legislative. Jeder dieser drei «Staatsgewalten» hat ihre eigenen, klar umrissenen Kompetenzen. Der Stadtrat als Gemeindeparlament gehört zur Legislative, indem er Reglemente erlässt, über Budgetposten in einer gewissen Höhe entscheidet und kommunale Gesetze erlässt. Die Exekutive, also die ausführende Gewalt, ist der Gemeinderat, der aus fünf Personen besteht und die verschiedenen Departemente der Stadtverwaltung führt.
Thun in der Vorreiterrolle?
Christoph Stalder, Vizestadtschreiber des Stadtrats, startete seinen Beitrag mit einem kurzen Rückblick in die Geschichte. Denn in Bezug auf die Partizipation der Frauen würde Thun eine Vorreiterrolle einnehmen. Denn Thun habe noch vor dem Kanton und dem Bund das Frauenstimmrecht eingeführt. Dies 1970, also ein Jahr vor Einführung des Frauenstimmrechts auf kantonalberner und nationaler Ebene. Ein Blick in die Chronologie des Frauenstimmrechts zeigt, dass andere Kantone allerdings schon viel früher dran waren: In den Westschweizer Kantonen Waadt und Neuenburg wurde das Frauenstimmrecht bereits 1959 eingeführt, womit sie die ersten waren. Und die Stadt Genf hatte mit Lise Girardin von der FDP im Jahre 1968 gar die erste Stadtpräsidentin der Schweiz. Bei den ersten Wahlen mit Frauenbeteiligung in der Stadt Thun von 1970 waren unter den 172 Kandidierenden lediglich 30 Frauen, von denen gerade zwei den Sprung ins Parlament schafften, dies nicht zuletzt, weil die Frauen von ihren Parteien zu wenig prominent ins Licht gerückt wurden. Bezeichnend und heute undenkbar war eine Erklärung im «Thuner Tagblatt» im Vorfeld der Wahlen, wonach die Zahl der Kandidatinnen auf der freisinnigen Liste beschränkt sei, weil die Wählerinnen «sorgsam und Schritt für Schritt» in die Politik «hineinwachsen» sollten. Es sei damals in Sachen Frauenpartizipation ein Prozess gestartet worden, der bis heute nicht abgeschlossen sei, führte Christoph Stalder weiter aus. Erst Mitte der 1970er-Jahre ist dann in Thun die erste Gemeinderätin gewählt worden. Heute, also rund 50 Jahre später, sieht die Situation anders aus. Die Frauen haben im Thuner Gemeinderat mit Katharina Ali-Oesch, Andrea de Meuron und Eveline Salzmann eine Mehrheit, und der Frauenanteil im Parlament erhöhte sich stetig. Doch das Engagement für die Frauen ist tatsächlich noch nicht zu Ende: Bei den letzten Wahlen schaffte es Andrea de Meuron gegen den amtierenden Stadtpräsidenten Raphael Lanz (SVP) nicht, die erste Stadtpräsidentin Thuns zu werden. Doch dies könnte sich bei den nächsten Wahlen ädern, denn Politik bleibt in Bewegung und sorgt auch immer wieder für Überraschungen.