«Menschen brauchen Spielräume»
Politik • Raphael Lanz ist ein charismatisches Chamäleon: Er ist Jurist, Stadtpräsident, kandidiert für den Regierungsrat, baute ein Unternehmen auf, prägte
die Entstehung des Parkhauses Schlossberg, hat soziale, kulturelle, wirtschaftliche und sportliche Mandate inne, ist Familienvater, Ehemann. Trotz der Viel-seitigkeit bleibt er seinen Grundsätzen treu: den Mitmenschen vertrauen, Verantwortung übergeben und genügend Raum lassen, damit sie sich entfalten können.

Kürzlich schlug der SVP-Wahlkreisverband Thun Grossrat Raphael Lanz als Kandidaten für die Regierungsratswahlen 2026 vor (wir berichteten). Doch wer ist Lanz eigentlich? Ein Augenschein.
Wie immer ist Raphael Lanz gut angezogen. Oft in blau. Blau steht für Treue. Und treu muss er sein, denn schliesslich ist der 56-Jährige seit 14 Jahren Stadtpräsident von Thun. Treu ist er auch seinen Grundätzen und der klaren Haltung: «Will jemand etwas erreichen, braucht er Spielraum.» Er sei ein positiver und optimistischer Mensch, sagt er von sich selbst. Eines seiner Erfolgsgeheimnisse: «Ich traue dem Gegenüber etwas zu.» Und ja, das strahlt er aus. Raphael Lanz nimmt seine Mitmenschen ernst, geht auf ihre Anliegen ein, lebt den Diskurs und somit die Demokratie; ändert allenfalls seine Meinung, wenn es nötig ist, ohne dass ihm danach etwas wehtut. Das macht einen Teil seiner Grösse aus und ist ein Grund, dass der erfahrene Politiker ernst genommen wird. Lanz ist nicht nur juristisch versiert, sondern auch psychologisch gewappnet, menschlich nahbar, zugänglich und verbindend, mit gesundem Menschenverstand, grosser politischer Erfahrung und der nötigen Hartnäckigkeit, die Zügel nicht loszulassen. Auch wenn sie manchmal in die Handflächen schneiden.
Wie man in den Wald ruft …
Seit vielen Jahren ist Lanz in einem Exekutivamt tätig, einer politisch anspruchsvollen Position. «Ich mache es sehr gern und hoffe auch gut», sagt er. Jedenfalls zeigen dies die Wahlresultate. Lanz ist nicht nur politisch, sondern auch unternehmerisch aktiv. Er ist Vater dreier Töchter. Wird er zum Regierungsrat gewählt, so hat er einiges an Lebenserfahrung und Können einzubringen. «Ich glaube, für unseren Kanton Bern ist es gut, wenn wir Regierungsmitglieder mit vielfältigen Erfahrungen haben.» Er sei bereit, seinen Beitrag zu leisten.
Dies war nicht immer so. «Als unsere Kinder kleiner waren, war der Zeitpunkt nicht der richtige», sagt er. «Ich bin sehr motiviert, nicht amtsmüde. Ich arbeite gern.» Er habe zwar ein hohes Pensum. «Aber ich nehme die Herausforderung gern an.» Ja, er liebe es, sich Neuem zu stellen. Was er aber betonen wolle: «Ich hatte das Privileg, immer mit guten Menschen zusammen zu arbeiten. So erreicht man auch etwas.» Sei es im Gemeinderat, in der Stadt oder in Bezug auf seine wirtschaftliche Tätigkeit. «Es ist sehr bereichernd, motivierte Menschen im Boot zu haben.» Wie kriegen Sie das hin, Herr Lanz? «Eben: Man muss den Menschen vertrauen und nicht davon ausgehen, andere könnten etwas nicht. Denn Menschen, die spüren, dass man ihnen vertraut, werden einen selten enttäuschen. Menschen wollen Verantwortung tragen, dafür benötigen sie Spielraum.» Klar müsse man bisweilen auch korrigierend eingreifen, wenn man in einer Führungsposition sei, «aber gerade in einer Verwaltung muss man Verantwortung abgeben und vertrauen können. Dies motiviert die Mitarbeitenden, so wächst das Team zusammen.» Wer den Menschen vertraue, traue ihnen auch etwas zu. «Sie machen es schon richtig.» Auch der Staat müsse nicht alles regeln und regulieren. «Er soll seinen Bürgerinnen und Bürgern nicht alles abnehmen. Die Menschen müssen sich selbst verwirklichen können. Der Staat soll nicht überall eingreifen, in der Angst, dass die Menschen sonst nur das Dümmste täten. Denn dem ist nicht so.»
«Es darf nicht alles reguliert sein»
Raphael Lanz fährt gern mit Familie, Hund – der Golden Retriever ist mittlerweile fast 14 Jahre alt – und seinem dem alten VW-Bus T2, Baujahr 1975, zum Campen. «Ich übernachte nie auf Campingplätzen, auf denen alles vorgeschrieben ist», so Lanz. «Ich suche jene, auf denen man den Besucherinnen und Besuchern vertraut.» Lanz setzt selbst um, woran er glaubt und was er zu geben bereit ist. «Denn dann passt man als Besucher doch sowieso besonders auf. Man will das Vertrauen ja auch nicht missbrauchen.» Aber nicht nur das Campen nennt Lanz als Beispiel, auch der Bau seines Solardachs. «Ich tat es nicht, weil mich jemand dazu gezwungen hat. Ich tat es, weil es richtig ist.» So hätte er nicht gewollt, dass der Staat ihm dies vorgeschrieben hätte. «Sonst hätte ich ja die Freude daran verloren. Ein eingeengter Spielraum ist demotivierend.»
Schale und Saft
Die vertrauensvolle und verbindende Art ist Lanz eigen. Den Umgang damit lernte er bereits während seiner Ausbildung in Verhandlungsführung. «Das war prägend für mich.» Einer der wichtigsten Grundsätze: «Verhandle nicht allein über Positionen, sondern über Interessen.» Er erläutert dies anhand eines Beispiels: «Zwei Kinder wollen eine Zitrone. Die Mutter (oder der Vater) halbiert sie und gibt jedem Kind eine Hälfte – und beide Kinder sind enttäuscht. Hätte die Mutter zuerst gefragt, so hätte sie erfahren, dass ein Kind die Schale gewollt hätte und das andere den Saft. Beide Kinder hätten so nicht nur die Hälfte der Frucht, sondern die ganze Schale und allen Saft erhalten. Beide hätten mehr davon gehabt und alle wären zufrieden gewesen.» Danach versuche er sich zu richten, so Lanz. «Ich frage immer zuerst, wie sich die verschiedenen Interessen und Standpunkte vereinen lassen, ohne dass jemand etwas verliert. Es geht darum, alle berechtigten Interessen zu verbinden.» Klar, in der direkten Demokratie sei zu akzeptieren, dass es die Mehrheit brauche, wolle man etwas durchbringen. «Dann muss man halt schauen, dass man diese erreicht.» Es gelte, klare Grundsätze zu haben, Lösungen zu finden. «Niemand kann eine Mehrheit erzwingen. Ich probiere aktiv daran zu arbeiten, die Menschen zu überzeugen.» Das sei halt manchmal «Knochenarbeit». «Und Handwerk. Aber wer viel Erfahrung in der Politik hat, beherrscht dieses Handwerk auch.»
Raphael Lanz ist ein in sich ruhender, selbstsicherer Mensch. Vielleicht gerade deshalb, weil er sich stets selbst hinterfragt. «Gelegentlich vermisse ich dies bei manchen Kollegen. Man muss sich doch immer wieder fragen: Bin ich noch richtig?» Er selbst fühle sich «völlig richtig» im Amt. Doch: «Man muss andere Argumente überdenken und allenfalls seine Meinung zu ändern. Es gilt, sich so zu verhalten, dass man das Volk hinter sich hat und nicht dessen Vertrauen verliert.»
Die Weltsituation
Herr Lanz, wir leben in schwierigen Zeiten, wenn man den Blick ins Ausland wagt. Was denken Sie, wie sollte die Schweiz darauf reagieren? Sinniert: «Ich bin persönlich dafür, dass wir eine starke, funktionsfähige Armee haben. Weil ich überzeugt bin, dass dies die beste Garantie ist, dass wir sie nicht brauchen.» Er fühle sich zwar nicht unmittelbar bedroht. «Doch wir wissen nicht, wie schnell sich dies ändern kann.» So sei er ein Verfechter der Idee, dass sich die Schweiz im Kriegsfall verteidigen könne. Zurzeit könne unsere Armee die Landesverteidigung gar nicht erfüllen. «Was wir den jungen Menschen aber schulden, ist, dass sie in einer Organisation mitmachen können, die funktioniert.» Für ihn sei es wesentlich, «dass wir als Schweiz ein neutrales Land bleiben, mit einer guten Armee.»
«In der Politik ist man nie fertig»
Zur Thuner Stadtentwicklung: «Politik ist wie eine Reise. Man muss wissen, wo man hinwill, aber man kommt nie an.» Betrachte er das Grosse und Ganze, so entwickle sich Thun wunderbar. Klar sei nicht alles gut. «Aber in den vergangenen Jahren hat sich vieles gut entwickelt, ich bin zufrieden.» Thun befinde sich in einer Aufwärtsspirale. Die Entwicklungen gingen nicht schnell, aber stetig voran. «Wir haben noch so viel Potenzial und können noch so viel erreichen.» Er sei überzeugt: «Wir setzten hier Dinge um, die besser sind als in den meisten Städten.» Und schaut von Thun aus in den Kanton: «Das könnten wir im Kanton Bern auch. Denn er ist einzigartig und vielfältig. Er reicht vom Berner Jura bis auf die Grimsel.» Er behaupte, der Kanton Bern verkaufe sich unter Wert. Was würden Sie ändern, Herr Lanz? «Bern ist ein wunderbarer Lebens- und Wirtschaftsstandort. Doch wir stellen uns selbst ein Bein, weil unsere Steuerbelastung so hoch ist. So haben wir gar nicht die Möglichkeit, uns zu beweisen.» Es gehe nicht darum, ein Steuerparadies zu werden. «Aber darum, dass wir unsere Stärken ausspielen können. Könnten wir die Vielfältigkeit besser verkaufen, würden alle davon profitieren.» Ausserdem? «Viele Firmen scheitern an den bürokratischen Umständen. Es dauert alles zu lange.» Dies sei ein Punkt, der ihn seit Langem umtreibe: «Die Welt wird schneller und schneller, doch unsere Verfahren dauern alle noch gleich lang wie eh und je oder teilweise sogar länger. Wie soll es so gelingen, neue Entwicklungen aufzunehmen und von ihnen zu profitieren?» Die Prozesse dauerten noch viel zu lange. «Am Ende, wenn eine Idee endlich umgesetzt wird, ist die Welt längst wieder woanders.»
So komme er zurück zum Anfang: Es gehe nicht an, immer für alles neue Gesetze zu erlassen. «Man muss auch den Mut haben, welche aufzuheben, das Denken zu ändern. Wenn wir in diesem Tempo weitermachen mit neuen Regelungen, dann, so behaupte ich, werden wir darin ersticken.»
Wachstum durch Herausforderung
Raphael Lanz ist überzeugt, dass der Mensch an der Herausforderung wächst. Wer politisiere, müsse Kondition haben. Es sei wie beim Marathon, so der Jogger, der oft mit seiner Frau trainiert: «Ich habe schon oft gedacht, ich sähe das Ziel. Doch hinter der Kurve kam erst der Anstieg.» Zum Dranbleiben brauche es Hartnäckigkeit.
Neben der Politik hat Lanz verschiedene Mandate inne. Eines davon ist der Thuner Sozialstern. Aber auch wirtschaftlich kennt er sich aus. So war er von Anfang bis Ende dabei, als das Parkhaus im Schlossberg gebaut wurde. «Vor zwanzig Jahren stand ich im Bälliz und sammelte Unterschriften dafür», schmunzelt er. Weil er bald darauf zum Stadtpräsidenten gewählt wurde, «konnte ich wesentlich dazu beitragen, den ganzen politischen Konsens zu organisieren, durfte als Verwaltungsratspräsident das gesamte Bauwerk verantworten und es schliesslich auch eröffnen.» Wieder betont Lanz die Menschen, die am selben Strang gezogen hätten. «Ohne diese grossartigen Leute wäre es nicht gegangen.»
Auch in Sachen Start-up hat Lanz Erfahrung: «Beim Joggen kam mir die Idee, dass es in Thun doch wieder eine Brauerei geben müsste.» Gesagt, getan: «Die Umsetzung nahm Dimensionen an, die ich zu Beginn nicht antizipiert hatte», lacht er, «heute sind wir ein Unternehmen mit über 500 Aktionären, haben sieben Stellen geschaffen.» Dies habe ihm gezeigt, wie gross die Herausforderungen für Menschen seien, die ein KMU gründeten. Trotz der Corona-Misere habe sein Team zusammengehalten. Kam durch den Sturm. In Phasen, in denen Menschen an ihre Grenzen kämen, wo es «richtig chlepft», müsse man sich als Team «zusammenraufen». «In solchen Situationen braucht es Menschen, die zusammenhalten. Wären wir in diesen Momenten auseinandergegangen, hätten wir es nicht geschafft.» Auch hier brauche es eine gewisse Kondition, die fürs Leben helfe, Dinge durchzustehen.
Wenn er mal gar nicht mehr weiterwisse, weil sein Kopf zu voll sei, so gehe er laufen, so Lanz. «Danach fühlt es sich an, als komme ich aus einem Nebelmeer heraus ins Licht: Ich sehe die Gipfel wieder.» Damit meine er: «Wenn ich vorher nicht wusste, wie ich etwas priorisieren soll, sehe ich nach dem Laufen klar: Die Gipfel sind jene Dinge, die wirklich wichtig sind.»