«Man sollte offen sein für Reformen»
Interview • Der Kanton unterstützt Gemeindefusionen mit finanziellen Beiträgen und Beratung. Zuständig dafür ist das Amt für Gemeinden und Raumordnung (AGR). Der Jurist Matthias Fischer ist Koordinator für Gemeindereformen und berichtet, wie fusionierende Gemeinden unterstützt werden können.

Aus welchem Grund unterstützt der Kanton Gemeindefusionen? Welche strategischen Überlegungen stehen dahinter?
Matthias Fischer: Mit der Fusionsförderstrategie will der Kanton die Leistungsfähigkeit der Gemeinden fördern, eine kostengünstige Aufgabenerfüllung unterstützen und die Gemeindeautonomie stärken. Wenn die Gemeinden gut aufgestellt sind, profitiert auch der Kanton davon. Dabei gilt die Prämisse der Freiwilligkeit. Denn Reformprojekte sollen primär von den Gemeinden angestossen werden. Die finanzielle Förderung dazu wurde per Anfang 2025 angepasst. Die Fördergelder werden gezielter für sogenannte strategische Fusionen eingesetzt. Das sind Zusammenschlüsse an Orten, wo bereits viele Aufgaben von unterschiedlichen Gemeinden gemeinsam erledigt werden.
Wie kann das AGR Gemeinden bei einem Fusionsprojekt inhaltlich unterstützen?
Im Vordergrund stehen die prozessuale und juristische Begleitung, und zwar vom Erstgespräch bis zur Umsetzung. Die Gemeinden selbst bestimmen, wie eng die Begleitung durch den Kanton sein soll. Inhaltlich geht es stets um Themen wie Behördenorganisation, Schulwesen, Infrastruktur und natürlich um die Finanzen. Dabei stellt sich vor allem die Frage, wie die zusammengeschlossene Gemeinde organisiert sein soll. Bei diesen «Veränderungsprojekten» immer wichtig sind eine sorgfältige Kommunikation und die Planung der politischen Entscheide. Auch zu diesen Themen beraten wir die Gemeinde. Durch die Begleitung und Beratung der letzten 20 Jahre haben wir zahlreiche gute Praxisbeispiele, also einen grossen Fundus an Studien und Berichten. Jedes Fusionsprojekt bringt seine eigenen Herausforderungen und Fragestellungen mit sich, die Abklärungen laufen aber häufig ähnlich ab. Unsere Beratung umfasst auch die Vernetzung mit anderen Gemeinden für den Erfahrungsaustausch. Dabei stellen sich teilweise auch ganz praktische Fragen, wie zum Beispiel die Grünabfuhr gelöst werden kann. Aber es kommen natürlich noch viele andere dazu.
Wie unterstützt der Kanton Fusionen finanziell?
Die finanzielle Fusionsförderung besteht aus einem Mix von erfolgsunabhängigen und erfolgsabhängigen Staatsbeiträgen. Der erfolgsunabhängige «Abklärungsbeitrag» stellt einen Anreiz dar, überhaupt Fusionsabklärungen anzupacken. Politische Gemeinden, Kirchgemeinden sowie seit 2025 auch Burgergemeinden und burgerliche Korporationen können so von Beiträgen an die Projektkosten von Fusionsabklärungen profitieren. Je nach Anzahl beteiligter Gemeinden und Komplexität des Projekts können bis zu 120 000 Franken ausgerichtet werden, sofern ein entsprechendes Gesuch gestellt wird. Der Kanton beteiligt sich hälftig und gestaffelt an den Kosten. So ist die Kontrolle gewährleistet. Ausgerichtete Beiträge müssen zudem nicht rückerstattet werden, wenn ein Fusionsprojekt verkleinert oder abgebrochen wird.
Gibt es auch erfolgsabhängige Beiträge?
Ja, erfolgsabhängig ist der «Fusionsbeitrag». Mit diesem Staatsbeitrag von pauschal 400 000 Franken sollen primär Umsetzungskosten gedeckt werden. Auch Kleinstfusionen von Gemeinden mit weniger als 1000 Einwohnerinnen und Einwohnern können davon profitieren. Der Fusionsbeitrag an Kirchgemeinden beträgt maximal 200 000 Franken. Seit Anfang dieses Jahres umfasst die finanzielle Fusionsförderung ein neues Kernelement: den «Zentrumsbonus». Es ist ein Förderinstrument für strategische Fusionen von Einwohner- und gemischten Gemeinden. Mit dem vorgesehenen Zentrumsbonus profitieren sowohl urbane, bevölkerungsstarke wie auch ländliche Zentrumsfusionen von gezielter finanzieller Unterstützung. Ganz wichtig: Es geht keineswegs nur darum, grosse Gebilde zu unterstützen. Auch ein Zusammenschluss von drei oder vier kleinen Gemeinden im Oberland oder im Berner Jura kann von diesem Beitrag profitieren. Voraussetzung ist, dass eine Zentrumsgemeinde gemäss Richtplan des Kantons Bern beteiligt ist oder die fusionierte Gemeinde neu eine gewisse Zentrumsfunktion ausüben kann. Das ist beispielsweise der Fall, wenn die Fusionsgemeinde Dienstleistungen für andere Gemeinden im Mandat erbringen oder wenn die interkommunale Zusammenarbeit vereinfacht werden kann. Fusionsbeitrag und Zentrumsbonus zusammen können maximal 3,5 Millionen Franken betragen. Diese Beiträge kann die Gemeinde nach Umsetzung der Fusion mit einem Gesuch beantragen. Es gibt dafür jedoch keinen vorgeschriebenen Verwendungszweck. Der damit gedeckte Anteil der effektiven Kosten kann
daher erheblich schwanken.
Woraus entstehen überhaupt Kosten bei Fusionsprojekten?
In der Abklärungsphase sind dies klassische Projektkosten wie Sitzungsgelder, Spesen, administrative Arbeiten, Abklärungen durch Fachpersonen, technische Untersuchungen, beispielsweise bei Infrastrukturanlagen, aber auch Ausgaben für Kommunikationsmassnahmen. Ist eine Fusion beschlossen, fallen Umsetzungskosten an für die Zusammenführung der Verwaltungen. Dies kann die Zusammenlegung von Arbeitsplätzen und Archiven sein oder auch Ausgaben für einen neuen Auftritt der Gemeinde.
In welchen Punkten besteht am meisten Beratungsbedarf?
Oft knifflig sind Fragen im Zusammenhang mit Übergangsregelungen bei Gemeinderats- und Kommissionssitzen. Anders formuliert: Wie stellen fusionierende Gemeinden sicher, dass der Wissenstransfer klappt? Besonders sorgfältige Abklärungen sind zudem nötig bei der Aufhebung und Weiterführung von Reglementen der beteiligten Gemeinden, aber auch bei der Finanzplanung. Hinzu kommen die frühzeitige Festlegung eines realistischen Fahrplans und der Einbezug wichtiger Entscheidträger. Ich mache häufig die Erfahrung, dass Verwaltung und Behörden ein gutes Gespür haben für Klippen und Hürden.
Aus welchen Gründen scheitern Fusionsvorhaben?
Das können messbare, harte Fakten oder «weiche» Faktoren sein. Manchmal sind es einfach unausgesprochene Vorbehalte, Ängste oder unterschiedliche Traditionen. Es kam zum Beispiel bereits zur Ablehnung wegen grossen Unterschieden im Steuer- und Gebührenwesen. Nicht selten wird seitens der Bevölkerung eine Abnahme der Identifikation mit der neuen Gemeinde und eine geringere Einflussmöglichkeit befürchtet. Vielem kann mit guter, transparenter Argumentation begegnet werden. Manchmal ist einfach auch die Zeit noch nicht reif. Eine Fusion ist ein grosser Schritt. Nicht unbedingt gescheitert ist ein Fusionsprojekt nach meiner Auffassung, wenn bei Vorliegen der sachlichen Auslegeordnung eine Gemeinde aussteigt. Häufig werden anschliessend verkleinerte Zusammenschlüsse umgesetzt oder die interkommunale Zusammenarbeit gezielt intensiviert.
Welche Nutzen können Gemeinden aus einer Fusion ziehen?
Von den knapp 50 Fusionen seit 2005 sind rund 30 Zusammenschlüsse in «Zweierkonstellationen». Kleinere Gemeinden profitieren dabei in solchen Situationen von der Stabilität der grösseren Partnerin. Generell liegt der Nutzen in der Professionalisierung der Verwaltung und Administration, bei Synergien in der Nutzung der Infrastruktur sowie in der Ver- und Entsorgung. Gut aufgestellte Gemeinden sind zudem attraktivere Arbeitgeberinnen. Praktisch immer können Zusammenarbeitsstrukturen, Verträge und Verbände auch wieder aufgelöst werden. Wenn über mehr Themen wieder direkt an der Gemeindeversammlung abgestimmt werden kann, bedeutet dies einen Demokratiegewinn. Mittelfristig sind Effizienzgewinne und Kostensenkungen realistisch. Klar ist aber: Fusionsprojekte führen selten zu kurzfristigen und automatischen Einsparungen.
Wann ergeben Fusionen besonders Sinn?
Wie schon angetönt, sind Fusionen dort sinnvoll, wo bereits eng und erfolgreich zusammengearbeitet wird, also in sogenannten «funktionalen Räumen». Die Auflösung von teils komplizierten Zusammenarbeitsformen in Verbänden oder mit Sitzgemeindemodellen bringt direkte Mitbestimmung zurück. Dies ist manchmal nicht auf den ersten Blick einleuchtend. Die Komplexität in den Bereichen Bau und Planung, Digitalisierung und bei weiteren kommunalen Aufgaben ist in den letzten Jahren nochmals gestiegen. Mit Zusammenschlüssen kann dieser Herausforderung mit vereinten Kräften begegnet werden.
Sind fusionierte grössere Gemeinden also handlungsfähiger?
Es ist nicht so, dass «grösser» immer «besser» ist. Viele kleine Gemeinden im Kanton Bern sind sehr gut und effizient aufgestellt. Es funktioniert, solange Milizämter besetzt werden können und es bei einer Verwaltung mit nur 150 bis 200 Stellenprozenten keine personellen Veränderungen gibt. Es gibt aber auch Situationen, in welchen Gemeinden am Anschlag sind. Idealerweise macht sich eine Gemeinde Gedanken über einen Zusammenschluss, wenn
alles noch gut funktioniert.
Welche Unterschiede gibt es zwischen Gemeindefusionen und Kirchgemeindefusionen?
Die Organisation von Kirchgemeinden ist weitgehend vergleichbar mit derjenigen von Einwohnergemeinden. Es bestehen die gleichen hauptsächlichen Herausforderungen, nämlich wie man in der heutigen Zeit die Milizämter und die Verwaltung besetzt. Den Hauptunterschied sehe ich in der Thematik «Zusammenführung des kirchlichen Lebens». Es geht um die Frage: «Wie und wo werden in einer fusionierten Gemeinden Anlässe durchgeführt?» Oder: «Welche Ressourcen und Räumlichkeiten können wir uns noch leisten?» Die Pfarrstellenprozente und die historischen Gebäude sind stets ein Thema. Seit mehreren Jahren ist die Fusionsdynamik hoch bei den Kirchgemeinden. So unter anderem in Bern, Thun und im Seeland.
Was ist besonders wichtig, um ein Fusionsprojekt erfolgreich abwickeln zu können?
Hier zeigen unsere Erfahrungen immer wieder, dass eine stetige und transparente Kommunikation und klare politische Führung des Projekts zentral sind. Scheinbar unbegründete und diffuse Ängste oder Widerstände sind ernst zu nehmen. Infoveranstaltungen und Bevölkerungsgespräche sind aufwendig, aber sehr wichtig. Es gibt viele Möglichkeiten, die Bevölkerung eines neuen Ortsteils nach dem Zusammen-schluss zur Mitbestimmung zu animieren. Oftmals sind dies auch Zugeständnisse, das Aufrechterhalten gewisser Sonderlösungen, die für die Akzeptanz entscheidend sein können. Hinzu kommt der sorgfältige Umgang mit dem Gemeindepersonal. Und manchmal braucht es auch den Mut, eine Frage nicht bis ins Detail abzuklären. Insgesamt ist es meines Erachtens wichtig, dass man sachlich bleibt.
Welches sind die grössten Fehler, die gemacht werden?
Krasse Fehler sind mir nicht bekannt. Ein Fusionsprojekt bedeutet immer auch Pionierarbeit. Wir versuchen, stets aus Erfahrungen zu lernen, und sind in Kontakt mit den Gemeinden. Manchmal braucht es eine gewisse Zeit, bis man weiss, was man hätte anderes machen können. Das Scheitern eines politischen Projekts ist nicht immer direkt auf einen einzigen Fehler zurückzuführen. Heikel sind sicher überhöhte Erwartungen oder Versprechungen, beispielsweise betreffend des kurzfristigen Einsparungspotenzials. Die Wichtigkeit der transparenten Kommunikation im Projektteam, aber auch gegen aussen, kann fast nicht genug betont werden. Und: Ganz wichtig – wie in jedem Projekt – ist es, am Anfang die Rollen zu klären und den Entscheidprozess festzulegen.
Wie wird sich gemäss Ihrer Einschätzung die Gemeindelandschaft in Zukunft entwickeln und warum?
Hier schwingt auch mein Herz als Behördenmitglied einer Gemeinde mit: Grösser ist nicht automatisch besser, was viele kleine Gemeinden beweisen. Es spielt weniger eine Rolle, wie viele Gemeinden es in Zukunft gibt, als wie diese in Zukunft die Aufgaben erbringen wollen und können. Gemeindefusionen sind ein möglicher Weg. Überkommunale Zusammenarbeit kann noch intensiviert werden. Aber man sollte offen sein für Reformen. Die Aufgabenteilung zwischen Gemeinden und Kanton muss weiterdiskutiert werden. Und: Die Entwicklung der Gemeindelandschaft wird auch davon abhängen, wie sich die Bereitschaft für lokalpolitisches Engagement entwickelt.