Ein Hauch Menschlichkeit
Wichtrach/Kapstadt • Sabine und Damian Jutzi arbeiten seit zwei Jahren in einem Sozialprojekt in Südafrika. «Not I But We» bietet Opfern von Gewalt und Menschenhandel einen Arbeitsplatz und ermöglich diesen so den Übertritt in ein selbstbestimmtes und gewaltfreies Leben.

Sabine und Damian Jutzi aus Wichtrach haben eine Mission: Sie arbeiten im Sozialunternehmen «Not I But We» in Kapstadt. Dieses hilft Frauen, die Menschenhandel oder andere Formen von Gewalt erfahren mussten, zurück ins Leben zu finden. Es bietet diesen Frauen einen Arbeitsplatz sowie einen Ort, an dem sie sich sicher fühlen können, also ein «Safe Space». Sie stellen dabei Kleider und Accessoires wie Haarbänder, Taschen oder Armbänder her. Das Projekt wird durch den Verkauf der Produkte und Spenden finanziert. «Es verhindert, dass die Frauen, die oft mit schweren Traumata leben, ohne gesichertes Einkommen erneut Opfer von Gewalt werden», erklären Sabine und Damian Jutzi. Denn in Südafrika ist die Armut allgegenwärtig, die Arbeitslosenquote beträgt über 32 Prozent. Die Chance, arbeitslos zu sein oder zu werden, ist also enorm.
Kreislauf der Ausbeutung
Zurzeit befinden sich die beiden in einem Heimaturlaub und führten letzte Woche in der Kirchgemeinde Münsingen einen Näh-Workshop durch. Dies war ein sozialdiakonisches Angebot, dass sich vor allem an den älteren Teil der Bevölkerung richtet. Es ging natürlich ums Nähen, aber auch darum, Gemeinschaft zu erleben und gemeinsam etwas Kreatives zu erschaffen. Es fand sich eine Handvoll Frauen ein, die sich unter Damians und Sabine Jutzis Anleitung daran machte, eine Küchenschürze aus Jeansstoff mit einer Bauchtasche zu nähen.
Doch bevor es losging, berichteten die beiden von ihrem Projekt aus Südafrika. Und dieses beschäftigt sich eher mit der dunklen Seite des Lebens. Die Opfer von Menschenhandel, unter denen sich manchmal auch Männer und Kinder befinden, leben oft in einem Kreislauf der Ausbeutung, der nur schwer zu durchbrechen ist. Vor allem, wenn man keine Perspektive auf wirtschaftliche Unabhängigkeit hat. Und dies nützt die Täterschaft oft rücksichtslos aus, indem die Opfer in eine Abhängigkeit getrieben werden. Ein fehlendes familiäres Netz, geringer Bildungsstand, die hohe Arbeitslosenquote, Armut, Traumata und Sucht verstärken die Verletzbarkeit der Opfer. Sie werden in die Prostitution getrieben, anderweitig sexuell ausgebeutet, zu Zwangsarbeit bis hin zu Sklaverei gezwungen oder erleiden ungewollte Entnahmen von Organen, die danach verkauft werden. Das Nähprojekt fand ursprünglich in einem Schutzhaus für solche Frauen statt. Damit konnte es nur für eine begrenzte Zeit in Anspruch genommen werden, und die entscheidende Frage blieb: Was geschieht mit den Opfern nach dem Austritt aus dem Schutzhaus? Und hier setzt das Projekt an: Es befähigt Frauen, ihr Leben selbst zu finanzieren und damit auch ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Es ist also eine Hilfe zu Selbsthilfe, die nachhaltig sein soll. «Für einige der Frauen ist es sogar der erste richtige Job», berichten Sabine und Damian Jutzi.
Spenden und Weltpolitik
Zurzeit arbeiten neun betroffene Frauen in dem Projekt. Die Frauen leben teilweise noch in einem Schutzhaus oder werden von anderen Organisationen begleitet. Einmal pro Woche kommt ein Psychotherapeut an den Arbeitsplatz. Bei Bedarf werden auch Therapieplätze für die betroffenen Frauen gesucht. «Not I But We» bietet selbst keine Therapien an, unterstützt ihre Mitarbeitenden jedoch dabei und begleitet diese ganzheitlich. Nebst den Betroffen arbeiten drei ständige Mitarbeitende im Projekt, darunter die Gründerin aus den USA sowie Sabine und Damian Jutzi aus der Schweiz. Während Sabine eher für die Produkte und als studierte Sozialarbeiterin für die Begleitung der Opfer zuständig ist, kümmert sich Damian Jutzi als studierter Betriebswirtschaftler schwergewichtig um das Geschäftliche. Dazu gehört auch das Fundraising. Er schreibt Botschaften, Stiftungen und auch Organisationen der UNO an. Dabei spürt er zuweilen auch die Weltpolitik. Denn dass die USA die Gelder für Entwicklungszusammenarbeit zusammenstrichen, hat auch negative finanzielle Auswirkungen auf solche konkreten Projekte. Deshalb ist es schwieriger geworden, Spenden zu erhalten. Der Lohn der betroffenen Frauen kommt aus dem Verkauf der hergestellten Produkte, die Nähtrainings und weitere Ausgaben werden mit Spendengeldern finanziert. Sabine und Damian Jutzi erhalten ihren Lohn über die Schweizerische Missions-Gemeinschaft. Finanziert wird dies vollumfänglich von Spenden aus ihrem Umfeld. Die Schweizerische Missions-Gemeinschaft ist ein christliches Missions- und Hilfswerk mit über 200 Mitarbeitenden in mehr als 75 Ländern in verschiedenen Projekten. Die Organisation stellt ihre Mitarbeitenden gemäss Schweizer Arbeitsrecht an. Zusätzlich hilft sie beim Spendensammeln, bei der Administration und wird ebenfalls durch Spenden finanziert.
Kontrapunkt setzen
Sabine und Damian Jutzi befinden sich nun bereit seit zwei Jahren in Kapstadt. Vorerst möchten sie auch dortbleiben. Ihnen gefallen die schöne Natur in Südafrika und die Menschen. «Die Leute sind freundlich und humorvoll, zwischenmenschliche Beziehungen werden gelebt und aufrechterhalten», berichten die beiden. Und dennoch: «Man spürt immer noch die Folgen der Apartheid, die Schere zwischen Arm und Reich ist gross.» Auf die Idee, sich in Kapstadt fernab der Heimat zu engagieren, kam Sabine Jutzi im Rahmen eines Auslandsemesters. Während ihres Aufenthaltes wurde eine Studentin vergewaltigt und ermordet, was sie tief bewegte. Danach wollte sie sich in einem Projekt in einem Frauenhaus engagieren, das aber nicht zustande kam. So meldete sie sich schliesslich bei «Not I But We». Sabine und Damian Jutzi wollen mit ihrem Einsatz unter anderem ein Kontrapunkt zur schnellen und konsumorientierten Fashionindustrie setzen. Viele der Produkte bestehen aus Stoffresten. Dadurch sind die Rohstoffe zwar günstiger, es bedeutet jedoch auch mehr Aufwand, aus Resten ein neues Ganzes zusammenzusetzen. Die beiden wollen gleichzeitig aber auch ein Kontrapunkt zu den heute vorherrschenden gesellschaftlichen Werten setzen. Sie haben ein ausgeprägtes Verständnis für Gerechtigkeit und eine Vision von einer sorgenden Gemeinschaft. Das Nähen ist ein langjähriges Hobby von Sabine, und auch Damian ist inzwischen ganz geschickt im Umgang mit der Nähmaschine. «Sabine ist jedoch technisch viel versierter als ich», schmunzelt er.
Gemeinschaft funktioniert
Am Ende des Workshops in der Kirchgemeinde Münsingen sind wahre und teils farbenfrohe Schmuckstücke entstanden. Die teilnehmenden Frauen hatten Freude und bewiesen, dass die Idee einer sorgenden Gemeinschaft auch wirklich funktioniert. Und schaut, hört und riecht man ganz genau hin, weht ein Hauch Südafrika und Menschlichkeit durch die Räume.
Website: https://notibutwe.com/