«Ein hohler Baum ist kein kranker Baum!»
Ambulanz für Bäume | Fabian Dietrich widmet sein Leben den Bäumen. Sein Wissen über sie ist immens. Hier liegt das Problem: Vielen in ähnlichen Berufen fehlt dieses Wissen. So werden die effektivsten und kostengünstigsten Klima-Erhaltungsanlagen der Welt viel zu oft gefällt. An dieser Stelle klärt er auf.

Fabian Dietrich sieht selbst ein bisschen aus wie ein Baum: sehr schlank, agil und beweglich, wie ein Ast im Wind. Und dies ist ein Kompliment. Denn fast scheint Dietrich, als wäre er mit diesen Wesen, über die wir so wenig wissen, verwachsen – und er ist es auch, jedenfalls seine Seele. Dietrich widmet den Bäumen sein Leben, sie schenken ihm Wissen und Erfahrung, wie kaum jemandem anderen. Schauen wir die Bäume an! Hören wir auf ihn.
Wenn morgen die Welt unterginge …
An dieser Stelle geht es um die Welt der Bäume im Orts- und Landschaftsbild – und um das Spannungsfeld, in dem diese Bäume leben. Um Sicherheit versus Baumerhalt, um den ökologischen und landschaftlichen Wert der Bäume, um ihre Grundbedürfnisse. Und was auf Ebenen des Baumschutzes zu tun ist, um diese kostenlose und effektive Klima-Erhaltungsmaschine zu schützen. Und um Klimaverträglichkeit versus Naturschutz.
Vor 16 Jahren gründete Baumpflegespezialist Fabian Dietrich seine Firma. Mit rund 25 Mitarbeitenden pflegt er Bäume in der ganzen Schweiz, primär im Kanton Bern, und ist bekannt für seine seriöse Vorgehensweise. «Wir erhalten die Naturdenkmäler», so Dietrich. In seinem Team sind Spezialisten, die zum Zuge kommen, wenn Lösungen zum Baumerhalt gesucht werden. Vor allem, wie er sagt, «wenn andere am Ende ihres Lateins sind».
Der Beruf des Baumpflegespezialisten beinhalte Baumerhaltungsmassnahmen, also den Schutz und die Pflege eines Baumes, von dem man im Vorfeld aus verschiedenen Gründen gemeint habe, ihn fällen zu müssen, so Dietrich. Meist deshalb, weil angenommen worden sei, dass die Sicherheit nicht mehr gewährleistet sei, wenn er stehen bleibe. Oder weil ein Baum den Bedürfnissen der Menschen weichen müsse. «Es gilt also zu erreichen, dass sowohl die Bedürfnisse der Menschen als auch der Bäume abgedeckt sind.» Grundsätzlich brauche der Baum den Menschen nicht – in der Natur. «Es sind unsere Ansprüche, die Baumpflegemassnahmen bedingen, die auch das Leben eines Baumes verlängern.» Auch ein Baum sei ein Lebewesen –
und sterbe dereinst. «Es gibt tatsächlich Fälle, wo ein Baum, trotz Pflegemassnahmen, nicht mehr gerettet werden kann.»
Die Furcht vor den Bäumen
Anhand von Bäumen, bei denen aber das Gegenteil der Fall ist, zeigt der Baumpflegespezialist auf, was er durch sein Engagement bereits bewirken konnte – und warum dieses so wichtig ist. «Es gab eine wunderbare Linde in Niederhünigen. Der Baum wurde gefällt, obwohl es nicht nötig gewesen wäre: aus sogenannten Sicherheitsgründen.» Warum geschieht dies heute noch, oder besser: Warum fürchten sich die Menschen so sehr vor den Bäumen? «Menschen, die sich mit Bäumen nicht auskennen, meinen schnell, ein hohler Baum, oder einer, der von Pilzen befallen ist, sei krank und gefährlich.» Er zeigt einen Stamm, an dem Porlinge wachsen. «Bäume sind in der Lage, Pilze, das heisst die Holzzersetzung durch das Dickenwachstum zu kompensieren. Sie sind in aller Regel kein Grund, einen Baum zu fällen.» So rettete Dietrich Rekordbäume wie Esche und Silberweide.
Ein anderer Baum, eine «Rekordlinde» oberhalb von Leissigen bei der Hodlergedenkstätte, sei an die 300 Jahre alt, so Dietrich. «Der Baum ist komplett hohl. Doch gefährlich ist er nach Baumpflegearbeiten wie Entlastungsschnitt und dem Einbau von Kronensicherungen nicht.»
Der Druck auf Bäume nimmt zu
Gerade in Zeiten des Klimawandels gewännen Bäume an Bedeutung. Die Menschen sprächen vom Erhalten alter Bäume, das Thema Klima sei in aller Munde. «Dennoch nimmt der Druck auf die Bäume enorm zu.» Diesen Widerspruch stelle er täglich fest. «Zwar will man die Bäume erhalten, sobald es aber um Sicherheitsfragen geht, und darum, hinzustehen und die Verantwortung zu übernehmen, sich zu informieren, welche Möglichkeiten es für einen Baumerhalt gäbe, ist plötzlich niemand mehr da. Alle reden nur noch von gefährlich!» Sich in diesem Spannungsfeld zu bewegen, sei anspruchsvoll. Aber was ist die Lösung: «Dass man sich Zeit nimmt und den Menschen das Wesen der Bäume erklärt.» Dietrich tut es: «Diese riesige, ungefähr 200 Jahre alte Rosskastanie in Langnau, die heute in einem Top-Zustand ist, ist innen hohl!» Klar, der Baum habe Schäden. So gab es Sicherheitsbedenken. «Aber es ist doch ganz normal, dass ein älterer Baum Fäulnis aufweist und in Folge hohl ist. Aber durch den hohlen Innenraum wird ein Baum unter Umständen sogar stabiler.» Dietrich verweist auf den Stahlbau. «Alle grossen Bauwerke verfügen über Hohlkörper. Die Aushöhlung bedeutet Gewichtsentlastung.» Ein Baum könne im Alter gar stabiler sein als vorher. Deshalb: «Wenn man irgendwo hört, der Baum sei krank und hohl gewesen, so ist dies nicht richtig!»
Ein Baum wächst ein Leben lang
Krankheit, wie wir sie verstünden, gebe es bei Bäumen so nicht. «Denn ein Baum lebt mit Hunderten von Organismen, sogar mit Pilzen, die wiederum anderen Nahrung bieten.» Täglich erhalte er Anfragen in Bezug auf Bäume, die im Vorfeld falsch beurteilt wurden. Er sei dankbar, wenn er vor einer allfälligen Fällung herbeigezogen werde. «Dies geschah zum Beispiel bei einer der ältesten Linden des Kanton Berns, sie ist um die 550 Jahre alt. Der Kanton Bern hatte Gutachten auf dem Tisch, der Baum sei hohl und gefährlich und deshalb nicht mehr zu retten. Das Gesuch zur Fällung landete beim Kantonalen Amt für Naturförderung, weil der Baum kantonal geschützt ist. Das Amt gab uns den Auftrag, ein weiteres Gutachten zu erstellen. Wir haben den Baum auf Stand- und Bruchsicherheit kontrolliert und den Erhalt mit gezielten Baumpflege- und Bodenverbesserungsmassnahmen empfohlen.» Der Kanton habe sich für den Baumerhalt entschieden, und die empfohlenen Pflegemassnahmen seien umgesetzt worden. Dietrich zeigt ein Bild nach den ausgeführten Massnahmen: «Der Baum reagierte von innen: Heute hat er keine Totholzanteile mehr, wie auf dem Bild ersichtlich ist. Die gesamte Situation wurde verbessert, die Bodensituation. Das heisst, er bekommt mehr Wasser und Nährstoffe. Nun hat er das Potenzial, noch weitere hundert Jahre zu leben – oder gar Jahrhunderte.»
Dietrich gibt zu bedenken: «Dies ist auch der Unterschied zum menschlichen Organismus. Ein Baum wächst ein Leben lang. Wir dürfen nicht immer nur von unseren Zeitmöglichkeiten ausgehen. Die Natur hat alles gut eingerichtet, wir sollten ihr mehr vertrauen.» Solange ein Baum parallel zum Pilzbefall aussen zulege und dicker werde, also der Zuwachs aussen ähnlich sei wie der Abbau im Innern, werde der Baum immer wie breiter und bleibe stabil, oder besser: könne sogar beim Älterwerden stabiler werden.
Co2 ist im Baum gebunden
«Ein Baum funktioniert nicht wie wir Menschen, sondern autotroph», so Fabian Dietrich. Troph ist griechisch und steht für Ernährung. «Ein Baum kann also körperfremde Stoffe in körpereigene umwandeln. Autotrophe Organismen sind in der Lage, ihre eigene Energie zu produzieren, indem sie anorganische Substanzen nutzen.» Das heisse: «Der Baum bindet Kohlendioxid aus der Luft, es kommt Licht dazu, Wasser aus dem Boden, so geschieht die autotrophe Assimilation, also die Fotosynthese in den Blättern findet statt.» Dietrich betont: «Und was gibt der Baum als Abfallprodukt ab? Sauerstoff!» Das CO2 sei im Baum gebunden «Das bedeutet nichts anderes, als dass sich der Baum selbst ernährt.» Die Nahrung wird in den Blättern produziert. «Es ist ein Trugschluss zu denken, die Nährstoffe kämen aus dem Boden. Von dort nimmt der Baum nur Wasser und mineralische Nährstoffe. Die Nahrung, die ‹Spaghetti›, die Power, also die Energie, wird in den Blättern produziert. Es ist wichtig, dass man das weiss», schmunzelt Dietrich, wenn auch nur «hälbwägs».
Er zeigt auf eine Silberweide mit einem Befall durch den Schwefelporling. «Den kann man sogar essen, wenn er auch nicht gerade eine Leckerei ist», lacht er. Es wäre also alles so einfach, warum aber werden trotzdem überall Bäume aus Gründen der «Sicherheit» gefällt?
Gefährlich – das Totschlagargument
«Dagegen braucht es Widerstand.» Und gegen Scheinargumente, Ignoranz oder Unwissenheit helfe nur Information. «Neun von zehn Bäumen könnten gerettet, respektive mit den richtigen Massnahmen erhalten werden.» Neun von zehn Bäumen würden also zu Unrecht gefällt. Klar, wenn der Baum störe, dann komme er wohl weg. Dies zu sagen, sei wenigstens ehrlich. «Aber heute heisst es einfach, wenn ein Baum weg soll – und ich habe schon viel erlebt – er sei gefährlich.» Es werde die Verkehrssicherheit ins Feld geführt – oder gar die Sicherheit der Kinder. Ein anderer Grund sei eine Grundstücksgrenze: «Gemäss Gesetzgebung muss im Kanton Bern ein Baum fünf Meter Mindestabstand zur Grenze des Nachbargrundstücks haben, sonst kann jemand die Fällung fordern, allerdings nur, wenn er dies tut, bevor fünf Jahre verstreichen, danach greift das Duldungsrecht.» Ein grosses Problem bestehe in anderen Kantonen, wo es dieses Duldungsrecht nicht gebe. «Wenn in einem Kanton, wo es kein Duldungsrecht gibt und zum Beispiel ein Grenzabstand von sechs Metern gilt, ein Baum 5,98 Meter von der Grenze weg steht, muss er bei einer entsprechenden Forderung gefällt werden, selbst wenn er vielleicht 200 Jahre alt ist. Nur weil es der Nachbar verlangt und das Gesetz es erlaubt: Das ist ein grosses Problem!» Erst würden stets die hohen Kosten genannt, wenn es gelte, Bäume zu erhalten. «Dabei sind diese Massnahmen, rechnet man alles zusammen, in der Regel günstiger als die Fällung und eine Ersatzpflanzung.» Er habe viele Bäume, lacht Dietrich. Das heisst: «Wir übernehmen die Verantwortung im Rahmen der Unternehmerhaftpflicht für sie.»